Tränen auf Asche

Iyrawen
24. April 2009 • Kommentare: 1

Regungslos saß die Frau in Rot am Feuer und starrte in die Flammen.  

Sie war zu spät gekommen, wieder einmal. Es war vorbei. Und was noch schlimmer war, es war ein Ende ohne Abschied. Für immer. Unwillkürlich ballte sie die Fäuste.

Der Raum hinter ihr bot ein Bild der Verwüstung. Irgendjemand hatte in rasender Wut Papierstapel von den Tischen gefegt, Phiolen zu Boden geschmettert, Kräuterbündel zerrissen. Schmauchspuren zogen sich die Wände entlang, als hätten die Mauern selbst Asche geweint. In der hintersten Ecke des Kammer, so weit wie nur möglich von der Frau entfernt, kauerte ein Rabe, den Kopf verängstigt unter dem rötlich schimmernden Gefieder verborgen. Einzig das Feuer im Kamin prasselte ungerührt und warf tanzende Schatten auf das Gesicht der Frau. Doch zum ersten Mal seit langem entlockten die züngelnden Flammen Iyrawen kein Lächeln.

Sie war zu spät gekommen, zu spät um wenigstens das Fieber noch aufzuhalten, zumindest für eine kleine Weile. So vieles war ungesagt geblieben, zu vieles. Der Fürst war mehr als nur der Herr eines Hauses gewesen, mehr als das Oberhaupt einer Familie. “Herz von Minas Faer”, so hatte sie ihn einst genannt, überzeugt davon, dass das Leben aus jener nebelverhangenen Stadt, die sie Heimat nannte ohne sie je erblickt zu haben, sofort weichen würde ohne ihn.

Iyrawen rieb sich die Schläfen. Ihr Kopf schmerzte und ihre Kehle fühlte sich rau an. Auch die alte Narbe an ihrem linken Unterarm hatte wieder zu pochen begonnen, wie so oft in den vergangenen Jahren. Doch all das war nichts gegen den Schmerz im Innern.

Selbst damit hatte er recht gehabt, das erkannte sie jetzt. So stolz war sie darauf gewesen, ihr Herz für immer in ein Häuflein Asche verwandelt zu haben, dem nichts und niemand mehr etwas anhaben konnte. Wie eine wandelnde Tote war sie durchs Leben gegangen, ausgerechnet sie, die Medica, dazu da, andere zu trösten und am Leben zu erhalten. Nur für sich selbst hatte sie den hoffenden Frühling, den wärmenden Sommer ausgesperrt, stets darauf bedacht, diesen zehrenden Schmerz im Innern nicht zuzulassen, nie mehr. Und nun war er doch wieder da. 

Iyrawen senkte den Blick wieder auf das Feuer im Kamin, das bereits weit herunter gebrannt war. Nicht mehr lange, dann würde auch die letzte Glut verloschen sein. Mit beiden Händen griff sie in das sterbende Feuer und zog eines der wenigen noch glimmenden Kaminhölzer hervor.

“Feuergeist”, so hatte er sie einst genannt, an jenem Tag, an dem die Masken fielen. Sie hatte ihm nie geantwortet, und doch hatte auch sie ihm damals einen Namen gegeben, unausgesprochen und sorgsam gehütet bis heute. “Flammenherz”, flüsterte sie nun und ihre Zunge kostete das Wort wie einen Schatz. So viele Menschen, Elben, Zwerge, Hobbits hatten in den Monaten in Minas Faer ihren Weg gekreuzt. Mit einigen wenigen hatte sie, ausgerechnet sie, sogar so etwas wie Freundschaft geschlossen. Dieser eine aber war mehr gewesen, denn er hatte das Wesen des Feuers verstanden und in sich getragen und war ihr damit zum Bruder im Geiste geworden. Und nun war er fort.

“Sichere Wege, Alejandro”, flüsterte sie, und ihre Hände schlossen sich fest um das glühende Holz. Vorsichtig hob sie es an ihre Lippen und hauchte es sachte an. Ein letztes Mal leuchteten die winzigen Flammen in ihren Händen auf und verloschen dann.

Danach wurde es wieder still in der kleinen Kammer. Still bis auf das leise Geräusch von Tränen, die auf heiße Asche fallen.
 

  1. Alejandro Salas sagt:

    *Flämmchen still ganz feste drück*

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