„SCHÜTZEN!“
Das Knirrschen der Sehnen erklang synchron, und als die Pfeile die graue Herbstluft durchschnitten, klang es in den Ohren des Elben wie ein lange vergessenes Lied.
„SCHILDE!“
Seine Stimme durchschnitt die Luft ebenso wie die Pfeile eben und hallte an den Häusern und Hängen wider, als die Schildträger – darunter er selbst – sich erhoben und um einen weiteren verzweifelten Meter rangen. Dann trafen Salas‘ Truppen auf den Wall, und die Geräusche, die der Elb wahrnahm, waren nicht mehr klar erkennbar. Dumpfe Schreie, aneinander schabendes Eises, brechende Panzer, zerreißendes Fleisch, schließlich wieder dumpfe Schreie.
„WALL ÖFFNEN!“
Wie vereinbart öffnete jeder Schildträger jetzt seine Deckung, um mit dem Schild einen Angriff auszuführen, eine Lücke zu erzwingen, in die die Waffe aus der rechten Hand dann eindringen konnte. Gleichzeitig würde in einer fließenden Bewegung die Deckung des linken Nebenmannes mit dem eigenen Schild gedeckt, während man selbst von demjenigen geschützt wurde, der rechts neben einem stand.
Das Manöver funktionierte erstaunlich gut, wenn man bedachte, daß sie nicht viel Zeit gehabt hatten, es einzuüben. Die Angreifer wurden hart nach hinten gedrängt. Einige von ihnen blieben zerschlagen liegen. Und soweit der Elb es einschätzen konnte, hatte es keinen aus der Schildreihe erwischt.
„SCHLIESSEN!“
In einer einheitlichen Bewegung schloss jeder Schildträger die Lücke und deckte sich wieder selbst.
Das sollte den Bogenschützen genug Zeit gegeben haben, weitere Pfeile eingelegt zu haben und auf das Kommando zu warten. Sie waren nicht mehr viele, und deshalb konnte es keine zweite Reihe aus Schützen geben. Aber bei einem Brückenkampf hatten die Verteidiger immer einen Vorteil.
„SCHÜTZEN!“
Wieder hörte er die Bögen singen, und er sah, wie die Angreifer sich hinter ihren eigenen Schilden versteckten.
Er war sich nicht sicher, wie lange sie noch durchhalten würden. Immer wieder wogten Salas‘ Truppen heran, um am Schildwall zu zerbrechen, und immer wieder sammelten sie sich erneut. Zwar hatten die Verteidiger bisher nur wenige Verluste gehabt, aber er spürte, daß die Männer müde wurden. Die Zeit war auf Seiten der Angreifer.
„SCHILDE!“
Mit einem einheitlichen Geräusch knirrschte das Metall der Rüstungen, als sie sich erhoben, um wieder ein wenig vorzurücken. Schon holten die Angreifer erneut aus zu einem weiteren, ermüdenden Schlag, als aus einer Richtung, die hinter ihnen lag, ein Horn erklang. Die Angreifer stockten in ihrem Sturm, und auch die Verteidiger warfen sich unsichere Blicke zu, als aus der Richtung, aus der das Horn zu hören gewesen war, ein eindeutiger Ruf über die Stadt fegte.
„BLUT FÜR BLUT!“
Und dann brach der Sturm der Unterstützer los. Sie fielen die Angreifer von hinten an, Pfeile und Bolzen flogen wie Bienenschwärme über sie hinweg, und dann konnte der Elb das Kreischen von Metall hören. Er gestattete sich ein kurzes Lächeln, ehe er den nächsten Befehl gab.
„VORRÜCKEN! BLUT FÜR BLUT!“
Und während sich die Linien der Verteidiger nach vorn bewegten, um die Angreifer zu zermalmen, antworteten sie.
„BLUT FÜR BLUT!“
Prinz Theron war mit seiner Einheit zurückgekehrt. Sein Banner vereinigte sich mit dem seines Vaters. Kein Angreifer konnte sich diesem Bund nun noch entgegenstellen.
Schließlich standen der Prinz und der Elb Seite an Seite im Schildwall. Sie hatten die Angreifer weit zurückgedrängt. Das Südtor der Stadt lag vor ihnen, und die letzten von Salas‘ Männern versuchten verzweifelt, dieses Tor nicht zu verlieren, als der Elb eine Gestalt auf den Zinnen über dem Tor wahrnahm. Umringt von anderen Schützen stand dort Atherton Salas selbst. Doch während die anderen ihre Pfeile auf die weiter vorrückenden Verteidiger regnen ließen, richtete er einen gespannten Bogen auf den jungen Prinzen und ließ den Pfeil gehen. Theron nahm das auf ihn gezielte Geschoss viel zu spät wahr, und so war er wohl ebenso überrascht wie Salas, als der Elb plötzlich vor dem Prinzen auftauchte und den Pfeil mit der Brust abfing. Dann sackte er zu Boden und kauterte sich keuchend hinter den Schild, den er nicht von der Stelle bewegt hatte, um den Wall geschlossen zu halten.
Theron blickte zu ihm nach unten, und nachdem sich seine und die verblassenden Augen des Elben getroffen hatten, hob der Prinz seinen Schild in eine schäge Angriffsposition, ehe er losrannte.
„Schicken wir sie zurück in die Löcher, aus denen sie gekrochen sind! BLUT FÜR BLUT!“
Die Antwort aus vielen Mündern überdeckte das Knirrschen von Metall und Leder, als die Verteidiger der Stadt wie eine Flut aus Feuer über die Angreifer herfielen. Allein der Schild, der den toten Elben unter sich verbarg, blieb an Ort und Stelle und war wie eine Insel inmitten der schnellen Wasser.

Weiter hinten in der Stadt, wo die Verteidiger das Krankenlager errichtet hatten, hatte Heridan Flusswieser alle Hände voll zu tun. Darum war er auch eher dankbar gewesen, als die beiden Elben ihre Hilfe angeboten hatten. Annamel unterstützte den Medicus so gut sie eben konnte.
Schließlich war es das elbische Mädchen, das Annamel begleitet hatte, das erschreckt aufsah.
„Spürst Du das? Etwas ist geschehen.“, sagte das Kind.
„Ich weiß.“, antwortete Annamel, als sie die Arme um ihre Tochter legte und versuchte, sie so fest zu umschließen, wie es nur irgendwie ging.
„Ich weiß.“

  1. Gwaethil Eglainion sagt:

    Zeit für Pathos.

  2. Cinlir Winthallan sagt:

    Haaaaach…

    Time for some thrillin‘ heroics!

  3. Sethur sagt:

    Ich liebe es, dass Du das getan hast, Gwaddi! Grandiose Fortsetzung. Ich freu mich!

    (Auch wenn ich Angst habe, dass die Guten gewinnen….)

  4. Gwaethil Eglainion sagt:

    Gibt es Böse in diesem Spiel? Soweit ich weiß, gibt es nur von ihrer Sache überzeugte Fanatiker. Auf beiden Seiten.

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