Flammenpfeil II

Iyrawen
16. Mai 2008 • Kommentare: 0

Wir schlichen durch aschfahles Gestrüpp, vorbei an düsterkahlen Bäumen, die sich immer dichter um uns schlossen.

Schließlich nahm ich auch den Geruch wahr, jenen Geruch nach Tod und Verwesung, den Elmion beschrieben hatte. Warnend drehte sich Talruil zu mir um. Ich spähte über seine Schulter und sah eine Lichtung, die in fahlgelbes Licht getaucht war. Und auf dieser Lichtung bewegten sich Schemen, fünf große, schattenhafte Umrisse, die vage an Bären erinnerten. Es war, wie ich befürchtet hatte. Das Schwert hatte sie aufgehalten, es hatte Leben gerettet, doch da das Feuer ihnen nicht die körperliche Hülle genommen hatte, waren sie wieder erwacht. Untote Wesen, Geschöpfe der Nacht. Die Worte der Morgula kamen mir in den Sinn. Leben genommen, Leben gewonnen.

Mit zitternden Händen reichte ich Talruil das Feueröl, er nahm es und tauchte eine Handvoll Pfeile hinein. Langsam zog ich mit meinem Runenstab einen Kreis um uns und schüttete ein aschgraues Pulver auf die Spur. Dann stellte ich mich in die Mitte des Kreises und verharrte, die Augen geschlossen, den Stab fest in der Hand. Ich versuchte, alles auszublenden, alle Worte, alle Stimmen, alle Gedanken, auf dass nur noch Stille sei. Und in dieser Stille, das Feuer.

Ich spürte, wie Talruil neben mir einen Pfeil anlegte, spürte, wie er die Sehne spannte, spürte, wie er schoss, wie die todbringende Fracht sirrend über die Lichtung flog und den ersten der geisterhaften Schemen so präzise traf, als sei dieser festgefroren. Ein Fauchen war zu hören, das war das Fauchen des Feuers, das seine Beute verschlang. Ein Brüllen war zu hören, das war das Brüllen des Opfers, das in den Flammen aufging. Dann setzten sie sich in Bewegung, vier huschende, wabernde Schatten. Die Jagd war eröffnet. Talruil schoss und traf den zweiten, und er schoss und traf den dritten. Doch dann plötzlich waren sie da. Ich spürte, wie er sein Schwert zückte und auf den ersten der beiden Schemen einhieb, spürte die Wucht geisterhafter Tatzen, mit denen das Untier sich wehrte, spürte, wie Talruil taumelte, spürte, wie das zweite Wesen das Maul aufriss, Triumph im Gebrüll, Geruch von Verwesung, eine Warnung von Tod. Da endlich schlug ich die Augen auf.

Und das Feuer erwachte.

Flammenkranz, Feuerkreis. Zischende, mächtige Glut. Funkenschlag, Fackeltanz. Feurige, gleißende Wut.

Wie eine glühende Bestie schlugen die Flammen um sich, loderten hoch in den Himmel, griffen mit Funkenkrallen nach den Geisterwesen, diese erfassend, alles verschlingend. Und ich stand da und sah die Biester fallen, stand da und flüsterte Feuerworte, stand da und starrte blicklos ins Licht.

Ich spürte nicht, wie ich zusammensank, spürte nicht, wie das Feuer erlosch, spürte nicht, wie die Nebel schwanden, spürte nicht, wie die Nacht mich umfing. Alles, was ich spürte, war der harte Erdboden, als ich erwachte. Und die klamme Kälte, in die der Tau meine Robe getaucht hatte. Blinzelnd richtete ich mich auf, und da saß der Elbenjäger und lächelte mir zu. Auch wenn es ein klein wenig müde aussah.

„Vorbei“, sagte er schlicht.

Ich nickte mühsam, alles schmerzte.

„Vorbei“, sagte ich heiser. Dann half er mir auf. Ich warf einen letzten Blick auf die verbrannte Erde, keine Spur der Geisterbären war mehr zu sehen. Es wäre das erste Mal seit langer Zeit, dass ich ein Versprechen gehalten habe.

Der Elb führte mich auf verschlungenen Pfaden aus dem Wald und vor die Tore von Bree.

„Namarie, Anor feanol“, sprach er.

Ich muss wohl sehr verwirrt ausgesehen haben, weil erneut dieser Name fiel. Anor feanol, so hatte auch Ghosa mich genannt. Doch Talruil grinste bloß und sprach: „Denkt bloß nicht zu sehr darüber nach, Feuerköpfchen, euer Menschenleben ist zu kurz, als dass ihr die Antwort auf eure Frage rechtzeitig finden würdet.“

Dann tippte er sich mit zwei Fingern an seinen seltsamen Hut, wandte sich um und ging. Nur der Wind trug sein Lachen zu mir herüber. Ein schönes Geräusch, dieses Lachen.

Auch wenn ich das niemals offen zugeben würde!

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