Zum Himmel sehen und Gutes erwarten

Gwaethil Eglainion
24. April 2010 • Kommentare: 5

Glockenblumenblüten. Sie drehen sich schnell durch ihren Fall und werden nach dem Aufkommen zu kleinen Booten. Blaue Gedanken auf Wasser. Alle Flüsse führen auf einem Weg ins Meer.
„Ob die Einschätzung falsch war, vermag ich immer noch nicht zu sagen. Verglichen mit Dir bin ich ein Neugeborenes ohne Augen und Ohren.“
Wie eine Brise Salz streut er ein paar weitere Blütenblätter auf das Wasser.
„Ich habe Würde gefunden, denke ich. Würde, die es verdient. Dessen bin ich mir sicher. Und nun auch wieder Würde in mir. Das Verblassen hat ein Ende. Es trifft sich gut, denn das Jahr erwacht hier erneut zur vollen Blüte. Und so beginnt auch mein Erwachen zu dieser Zeit.
Selbst Bree scheint heller und reiner. Du bist nie dort gewesen, und ich bin mir sicher, Du würdest es selbst jetzt abstoßend finden. Doch seine Bewohner scheinen nun öfter zum Himmel zu sehen und nichts allzu Böses zu erwarten.
Sieh zum Himmel und erwarte Gutes, wenn Du reinen Herzens bist. Du kennst das Sprichwort.“
Eine weitere Brise verlässt die Hand.
„Ich bin nun wortgebunden an einen Mann, der unter den Zweitgeborenen in hohen Ehren steht. Wir haben einander Fragen richtig beantwortet und in die Augen gesehen. Manchmal denke ich, Menschen wissen nicht, wie offen alles über einen Geist dort einzusehen ist. Doch dieser gehört nicht dazu. Er weiß es. Cinlir Winthallan ist nicht blind.
Es ist ein Wagnis, ein Abenteuer. Und wie bei allen Abenteuern ist der Ausgang ungewiss. Doch sind er und ich willens, es zu bestehen. Und nun bin ich aufgenommen in sein Haus und habe eine eigene Unterkunft.“
Er betrachtet ein Blatt, dreht es zwischen Daumen und Zeigefinger und lässt es ins Wasser fallen.
„Ich bin eine Eule unter Tauben. Auch ein Vogel, doch von verschiedener Gestalt und gänzlich anderem Ruf. Eine Eule, die mit Tauben fliegt, wird niemals eine Taube sein. Aber vielleicht vergessen die anderen Tauben das eines Tages. Und irgendwann vergisst es vielleicht auch die Eule. Doch noch ist die Landung dieser Eule zu frisch, und die Tauben können nur die großen Augen sehen, die die Nacht durchdringen und den gekrümmten Schnabel.
Allzu schnell wage ich nicht voranzugehen, also beobachte ich sie und kenne wenige, doch von einigen will ich Dir berichten.“
Wieder eine Handvoll Blätter.
„Füst Winthallan wird von den meisten hier gefürchtet, von einigen geliebt und von wenigen gehasst. Er weiß genau, welche Opfer sein Amt von ihm verlangt. Und er weiß auch, welchen Preis er dafür verlangen kann. Ich denke, an manchen Tagen wünscht er sich, er könne ein zweites Gesicht anlegen und für eine Weile jemand anders sein. Aber sein Eid bindet ihn wie jeden anderen, und diese Verantwortung trägt er mit Würde und Stolz. In der kurzen Zeit, da ich ihn kenne, sah ich Müdigkeit, tief empfundene Freude, Hochmut, Achtung und den Ausdruck kindlicher, zauberhafter Verwunderung in seinem Gesicht. Obgleich er nicht mein erster Kontakt hier war ist er doch der tiefste, und ich denke, wir könnten tatsächlich… nun… Freunde werden. Er hat über die Konsequenzen nachgedacht, die mein Hierbleiben für mich hat. Die meisten seiner Untertanen wissen nicht, wieviel Herz er hat. Ich bin mir sicher, das ist ihm auch ganz recht so.“
Er wirft erneut eine paar Blätter hinein.
„Fianah hat sich verlaufen, denke ich. Sie ist gefangen zwischen Loyalitäten, und da sie nicht weiß, welcher sie den Vorrang geben soll, steht sie qualvoll auf der Stelle. Für ihre Wunden gibt es keine Heilung, da ihr Heiler gleichzeitig ihr Peiniger ist. Jener weiß es auch und wird selbst davon gequält. Es bedarf nur eines kleinen Stoßes aus irgendeiner Richtung, und sie wird in die entgegengesetzte fallen. Aber das Schreckliche daran ist, daß niemand weiß, was dann passiert. Einige fürchten sich davor und halten den jetzigen Stand aufrecht. Aber das wird sie irgendwann zerbrechen lassen und nichts hinterlassen als eine leere Hülle – so wie es Mithfang erging. Sie sucht den Weg zurück zu sich selbst. Ich habe ihr angeboten, daß sie, wann immer sie will, in das Haus kommen kann, in dem ich nun wohne. Und dort kann sie ausprobieren, wie es sich anfühlt, wieder sie selbst zu sein. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist. Ich weiß nicht, ob die Taube gesunden kann durch das Lied einer Eule.“
Noch mehr Blätter fallen.
„Schreiber Izhkarioth hat mich während meiner Prüfungszeit in seinem Hause beherbergt. Sein Verhalten ist tadellos, er erfüllt alle Erwartungen. Dennoch… Etwas belastet ihn, denke ich. Er zeigt zumindest mir nur ein einstudiertes Gesicht. Aber warum sollte er auch nicht? Es ist, als würden Nadeln in seinen Sohlen stecken, und bei jedem Schritt muss er so tun, als wären sie nicht da. Ich weiß nicht, wie er sich bei anderen verhält. Wahrscheinlich geht es mich auch einfach nichts an. Aber ich hoffe für ihn, daß er jemanden hat, dem er sich anvertraut.“
Nur noch eine handvoll Blätter sind übrig. Er lässt sie Blatt für Blatt ins Wasser fallen.
„Sir Aldorn ist wie eine gute, unverzierte Klinge. Einfach und verlässlich. Ich denke, er ist die Wahre Klinge des Fürsten. Hand und Griff bilden eine geübte Einheit. Diese Verbindung kann nur jemand verstehen, der bereits seit langem das gleiche Schwert in die Schlacht getragen hat. Es wird ein natürlicher Teil des Körpers. Kein anderes Schwert kommt dem jemals wieder gleich.
Aldorns Prüfung war die weiseste. Er prüfte meinen Stolz. Ich denke, er ist ebenfalls nicht blind.“
Er hält kurz inne und fügt schließlich noch einen Gedanken hinzu.
„Kürzlich unterhielt ich mich mit Aldorns Gemahlin Bryanne. Ich fürchte, ich habe sie allein mit meiner bloßen Anwesenheit verunsichert. Doch am Ende unseres Gesprächs war es, als wären wir nur Fremde und die Eule vergessen für einen Augenblick. Ich werde sehen, wie es sich beim nächsten Mal anfühlt. Immer wieder bleiben sie stehen und betrachten mich mit diesem einen bestimmten Blick, den man sich für solche Fälle aufhebt. Vielleicht müssen wir einfach üben.“
Er lässt einen Augenblick vergehen und schaut in den Himmel. Schließlich beendet er den Gedanken.
„Ich bin angekommen. Das Gefühl, wieder eine Heimat in Aussicht zu haben, ist kostbar. Wie einen Schatz habe ich die Schlüssel zu dem Haus betrachtet.
Ihr seid der Preis dafür.
Ich liebe Dich. Vielleicht betrachten wir in der Nacht ja die gleichen Sterne. Ich werde an Dich denken.
Grüße Vater.“

  1. Cinlir Winthallan sagt:

    Haaaaach… Ich möchte weinen. 🙂

  2. Sethur sagt:

    Wow. Gefällt mir sehr.

  3. Sybell sagt:

    *tränen runterschluck* Wunderschön!

  4. Giselher Aldorn sagt:

    Den Vergleich Eule und Tauben finde ich ja mal richtig gelungen. Und das ziwschen all den anderen sehr schönen Gleichnissen!

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