Brechen des Eis

Mynerya Kaldenberg
9. Mai 2008 • Kommentare: 0

Die weiße Ebene schien sich ins Unendliche zu erstrecken, wo sie irgendwann mit dem perlmutfarbenem Himmel zu verschmelzen schien. Eine beinah ohrenbetäubende Stille herrschte in der Ebene und selbst die Schritte der Frau in ihrem schweren Panzer, schienen in der Ruhe zu ersticken.

Seit einer Ewigkeit lief sie schon durch die schneebedeckte Ebene, völlig orientierungslos da die Gegend bar jeden Fixpunkts war. Ihr Atem bildete mit jedem Stoss kleine, weiße Wölkchen welche sich schnell vor dem Vorhang aus Weiß verloren. Für einen kurzen Moment hielt sie inne, um Luft zu holen, als sie etwas in der Ferne erblickte. Rauch. Schwarzer Rauch, der wie ein Messer durch das endlose Weiß schnitt. Nicht wissend warum, rannte sie so schnell wie sie konnte auf den Rauch zu. Mit jedem Schritt den sie näher kam, bildete sich in der Ferne ein Gebilde. Ein hoher Schornstein, grauen Mauern, mehrere Etagen mit viereckigen Fenstern. Und plötzlich stand sie vor dem Haus, ihrem alten Heim. Es war unverkennbar, dass es ihr Heim aus Breeland war, aber wie kam es hierher? Langsam schritt sie um das große, steinerne Gebäude. Durch die Fenster konnte sie die Küche sehen, den alten Tisch und den Holzschrank, den einer ihrer drei Brüder gefertigt hatte. Ein Stück entfernt stand der große Ahorn, der im Sommer immer soviel Schatten gespendet hatte. Und dann war da ihre Schmiede, ihre so heiß geliebte Schmiede. Das kleine rußgeschwärzte Gebäude, welches halb aus Stein und halb aus Holz gebaut war. Ein unbändiges Glücksgefühl stieg in ihr auf, schnell rannte sie zu dem kleinen Haus, stieß die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen. Es war wie damals. Die Esse, der Amboss, die Werkzeuge und selbst ihr alter abgegriffener Schmiedehammer waren da. Eine wohltuende Wärme lag in der Luft und es schien ihr, als würde die Sonne durch die Mauern scheinen und alles mit einem friedlichen, liebevollen Glanz bedecken. Ihre Finger wanderten langsam über das vertraute Inventar, es fühlte sich alles so an, wie in ihren Erinnerungen. Behutsam nahm sie ihren Schmiedehammer vom Hacken und sah sich um, alles wirkte so geborgen, so sicher.

Schritte. Laute, dröhnende Schritte. Wie Donnergrollen erfüllten sie plötzlich die Luft und kamen näher. Ängstlich presste sie ihren Schmiedehammer an die Brust, dass kühle Metall konnte sie durch den dünnen Stoff ihres Kleides deutlich spüren. Kurz blinzelte sie, ein Kleid? Mit grausigem Krachen wurde die Tür eingetreten, widerwärtige Laute kreischten durch die Luft. Sie riefen nach ihr, wollten mit ihr reden. Drohten ihr. Verlangten von ihr. Drei breite, grobe Gestalten schoben sich durch den Eingang. Die Schwarzwolds. Brutale Raufbolde, die schrieen, bellten und befehlten. Verloren stand sie dort, ihren Hammer an sich gepresst und weinend. Alleine ließ man sie den Dreien ausgeliefert, welche unmögliches und unsägliches von ihr wollten. Sie bettelte, sie flehte und schrie. Doch nichts half, die drei Gestalten kamen näher, boshaftes Lachen erfüllte den Raum. Ihre Beine versagten und sie sank auf die Knie, bittend sah sie zu den Schwarzwolds auf, doch diese waren plötzlich nicht mehr da. An ihrer stelle standen drei andere Männer. Männer die sie kannte und eigentlich für gutgesinnt hielt. Einer war Elmion, die Wache der Baroness, er schrie und schimpfte in einer unerträglichen Sprache. Er beschwerte sich, was sie gewagt hatte ihm dort zu schmieden. Wertlosen Plunder und Tand. Der andere Mann war Rodgar, dessen Gesicht nur eine geifernde Fratze war, der Knurren und Bellen entwich. Hämisch forderte er sie auf zu laufen, damit er sie reißen konnte, wie ein Schaf. Jener letzte im Bunde, war der Fürst des Hauses selbst. Er herrschte sie an besser zu zuhören, zu schweigen und sich ihres Standes gemäß zu verhalten. Und jeder von ihnen hasste sie.

Schwindel ergriff ihren Verstand, der vor Fragen und Gedanken zu explodieren schien. Schieres Unvermögen zu verstehen was geschah packte sie, riss an ihr. Warum taten sie das, sie wollte doch niemanden etwas tun. Sie wollte doch nur helfen, nett sein. Plötzlich hielt sie einen Spiegel in der Hand, fremdartig aber doch vertraut. Dann wurde es Dunkel. Als sie die Augen wieder öffnete, war alles rot. Die Schwarzwolds lagen reglos dort, dass Rot war überall. Schlug Blasen auf der Esse. Tropfte vom Amboss. Erfüllte die Luft mit widerlichem, süßen Geruch. Schreiend stürzte sie aus dem Haus, rannte so schnell wie ihre Beine sie trugen. Das Haus brannte, der Ahorn war nur noch ein Stumpf, an dem eine eiserne Kette mit einem Halsband hing. Sie lief weiter, blickte nicht zurück und rannte beinah gegen eine Person. Es war die Baroness. Kurz keimte Hoffnung in ihr auf, doch die Dame der sie Treue schwor drehte sich ab. Wieder war die verzerrte Sprache zu hören, welche ihr erklärte sie habe sie enttäuscht. Ihr schlecht gedient. Panik erfüllte sie, so dass sie weiter rannte. Überall standen plötzlich Leute, denen sie Namen zuordnen konnte. Iverin, Lysawyn, Lynne, Kashin und all die anderen Mitglieder des Hauses, welche sie kannte. Doch alle drehten sich um, redeten in der Fremden Sprache mit ihr und taten nur ihre Abscheu, Enttäuschung und Missbilligung kund.

Ihre Muskeln brannten wie Feuer, aber sie lief weiter, weg von dem Haus. Kurz sah sie nach hinten und musste entsetzt feststellen, es war immer noch direkt hinter ihr. Das Rot lief aus der Schmiede hinaus, färbte die weiße Ebene schlagartig anders. Hecktisch drehte sie sich um, wollte laufen, doch wieder stand dort jemand. Gehüllt in schwarzes Leder, welches sich eng an den eleganten Körper anschmiegte. Hohe Stiefel die perfekt anlagen. Handschuhe die die feingliedrigen Finger umhüllten. Die Haltung verriet Anmut, Eleganz. Zuerst dachte sie, es wäre die Totengräberin, Sanguisa. Doch schnell fiel ihr auf, dass dem nicht so war. Ihr Kopf verhaarte still, unfähig der Frau ins Gesicht zu sehen, denn dies war ihr verboten. Sie durfte das Gesicht der Brennil nie ansehen. Niemals.

Ein Geräusch ertönte hinter ihr. Feucht, schrill und Unglück verheißend. Wie Glas das unter Metal zertreten wurde. Sie drehte sich um und sah, wie dass rote Eis der Ebene brach. Ein riesiger schwarzer Riss durchzog die Ebene und verschlag alles. Von Panik getrieben lief sie los, alles hinter sich lassend. Doch der Riss kam rasend schnell näher. Verschlang den Boden unter ihren Füssen, haltlos stürzte sie in ein schwarzes Nichts, ein letzter Blick ging zum Himmel. Welcher nicht mehr da war, anstelle eines Himmels schwebte dort ein gigantischer Spiegel. Er war fremdartig aber doch vertraut, ein Sprung teilte ihn in zwei Hälften. Eine zeigte sie, so wie sie sich kannte. In der anderen Hälfte sah sie sich mit roten Haaren. Dann zersprang der Spiegel in ein Kaleidoskop aus bunten Splittern. Sternen gleich regneten sie herab, während sie fiel. Jede Scherbe trug ein Gesicht, das sie in fremdem Wort anklagte. Ewig stürzte sie in endloses Dunkel.

Schwer atmend schrak sie in ihrem Bett auf, Schweiß bedeckte ihren ganzen Körper und das Herz schlug in ihrer Brust, als würde es von einem Troll geschlagen werden. Orientierungslos tastete sie in der Dunkelheit um sich. Fühlte die weichen Decken, die Kissen und Maunz. Kräftig drückte sie ihn an sich und fand langsam wieder Ruhe. Welch ein schrecklicher Alptraum, dachte sie. Oder war dies die Wahrheit gewesen und sie ist nur in die Dunkelheit eines wahren Alptraums gestürzt?

Mit wackeligen Beinen verließ sie das Bett, wankte in das vom Mond schwach erhellte Hauptzimmer ihres Hauses und kniete sich vor einen Bottich mit kühlem Wasser. Mehrmals wusch sie sich das Gesicht und atmete tief durch.

„Warum bist du wach?“

„Ein Alptraum.“

„Was hast du geträumt?`“

„Die Schmiede. Die Schwarzwolds und dann, dann waren all die Mitglieder des Hauses plötzlich da. Sie lachten über mich, verachteten mich…“

„Dummes Ding, warum träumst du den so was?“

„Vielleicht weil es wahr ist? Der Fürst war letztens sauer auf mich, die Herrin schien enttäuscht. Verflucht ich habe Fehler gemacht!“

„Beruhig dich. Ruhig liebes.“

„Nein, ich habe sie enttäuscht. Mich falsch Verhalten. Sie werden mich sicher fortschicken…“

„Nein, werden sie nicht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Weil sie dir anscheinend trauen, dich vielleicht sogar mögen.“

„Was… wirklich? Wie kommst du darauf?“

„Erinnere dich an das, was du mir alles erzählt hast die Tage. Die Gespräche mit ihnen. Die Dinge welche sie dir anvertrauten. Die Geheimnisse. Glaubst du wirklich, sie würden dies tun, wenn sie dich nicht mögen, oder zumindest eine gewisse Sympathie dir gegenüber verspüren?“

„Nun…“

„Man würde doch niemandem Dinge anvertrauen, den man nicht ein wenig schätzt oder mag. Offen mit ihm reden, ihn um Gefallen bitten und dergleichen. Mir scheint, sie hegen wirklich Gutes dir gegenüber.“

„So habe ich dies noch nie betrachtet.“

„Alpträume sind eben nur eines, Träume. Lass dich nicht ängstigen, sondern warte was dort kommen wird. Sei offener zu ihnen, wenn du merkst, dass sie es zulassen würden, höre ihnen zu, wenn sie ein Ohr brauchen. Nur lass dich nicht wieder von einen Ängsten quälen.“

„Ich werde es versuchen, danke für die netten Worte.“

„Gerne doch. Sieh, der erste Schritt ist getan und ich bin mir sicher, du wirst endlich finden was du solange schon suchst, wenn du nur ein wenig aus dir hinaus kommst.“

„Du meinst, so was wie Freunde?“

„Ja, aber nun komm und leg dich schlafen, es ist mitten in der Nacht.“

(( Ich hoffe ich habe nicht zuviele Fehler übersehen ))

Du musst eingeloggt sein, um zu kommentieren.