Von Schatten und Phantom

Immerschatten
2. Juli 2008 • Kommentare: 3

Schlafend lag er dort, ihr den Rücken zugewandt. Ruhig, die Augen geschlossen. Sich sicher fühlend. Erelyas Blick flog einmal durch’s Zelt, verharrte einen Augenblick an der Stelle, an der Laiwyns Körper gelegen hatte. Regungslos, kalt, ehe er fortgeschafft wurde. Die Übelkeit zog ihre Eingeweide zusammen wie in kaltem Griff, ließ ihre Finger die Klinge noch fester umfassen.

Sie musste sich ihm von vorne nähern, ihm hinterrücks die Kehle zu durchtrennen hätte sie auf das Lager gezwungen, jegliche Bewegung hätte ihn geweckt. Es war sicherer so. Leise, auf Zehenspitzen schlich sie um ihr Opfer, ihre Beute, herum, vermied jeden unnötigen Atemzug, jede unnötige Bewegung, jeden Schritt der zuviel gewesen wäre. Das rasselnde Atemgeräusch klang, tobte, laut in ihren Ohren, übertönte das Knacken der Holzscheite des kleinen Feuers in der Mitte des Zeltes, selbst den Wind, der draußen um die Zeltwände tobte.

Sie stand vor ihm, schluckte einmal, härter als gewollt. Langsam erhob sie die Klinge, stellte sich in Gedanken vor, wo sie treffen würde. Ein feiner Schnitt, er hätte nicht einmal mehr genügend Luft um nach Hilfe zu rufen oder sich zu wehren. Einen Mörder zu töten, es war kein Unrecht. Er hatte ihr den liebsten Menschen genommen aus einer Laune heraus. Sie hatte jedes Recht, _ihn_ zu richten.
Elya holte tief Luft, schloss einen kurzen Moment die Augen, erhob die Klinge ein letztes Stück. Es würde schnell gehen, einfach. Sie öffnete ihre Augen wieder, suchte ihr Ziel – und sah direkt in einen wachen Blick.
Einen Moment lang geschah nichts, nicht ein Atemzug. Für einen Herzschlag lang schien die Welt still zu stehen. Ein Schein des Feuers brach sich an der blanken Klinge, traf ihn direkt. Der Blick verfinsterte sich.
„Damit kannst du nicht umgehen.“ Mehr ein Knurren als Wort, doch sie verstand genau, hörte den Spott, der sie nunmehr in ihrem Vorhaben bestärkte. Sie antwortete nicht in Worten, ließ die Klinge niederrasen. Er sprang zeitgleich auf, stürzte sich auf sie, warf sie zu Boden, bekam ihr Handgelenk zu packen und zwang sie, den Dolch loszulassen um ihn sich selbst zu nehmen. Elya wusste sich nicht zu helfen, griff nach allem, das sie erreichen konnte, erwischte eine Hand voll Erde und schleuderte sie ihm entgegen. Die Wirkung verfehlte nicht ihren Zweck. Er kniff die Augen zusammen, musste die linke Hand neben ihrer Hand nehmen, wischte sich über die Augen. Sie nutzte die Gelegenheit, die aus Fahrlässigkeit gelassene Beinfreiheit, riss ihr Knie nach oben und versetzte ihm einen Tritt in sein Heiligstes, setzte mit einem, wenn auch schwachen, Schlag ins Gesicht nach und schaffte es, ihn zum ablassen zu bewegen. Er stand auf, ging einen Schritt rückwärts, ließ sie ungewollt wieder auf die Beine kommen.
Noch immer rief er nicht nach seinen Brüdern, schwieg. Noch immer war er sicher, zu gewinnen.
Bis er wieder freie Sicht hatte. Schlag um Schlag wich sie zurück, wich aus nach allen freien Seiten. Er hatte die Klinge, waffenlos hatte sie keine Chance gegen ihn. Er holte aus zu einem weiteren Faustschlag. Elya war abgelenkt, hatte etwas blitzen sehen am Boden, nahe dem Lager, machte dort ein Stiefelmesser aus in dem Berg, der seine vor der Nachtruhe abgelegte Kleidung darstellte. Er spielte mit ihr, ließ sie länger leben als er musste. Der Schlag traf sie im Magen, ließ sie zusammensacken. Er hörte nicht auf, verpasste ihr eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte, warf sie bauchlings zu Boden.
Elya keuchte, kämpfte gegen die Übelkeit. Ihr Magen rebellierte, Tränen schossen ihr in die Augen, verschleierten das Sichtfeld. Was hatte sie sich nur gedacht? Im offenen Kampf war sie ausgeliefert, er würde mit ihr spielen und sie dann zum Schweigen bringen, wie er es mit ihrer Schwester getan hatte.
Versagt.
Sie hatte versagt.

Elya schreckte hoch, verhedderte sich in ihrem Umhang und der Decke, auf der sie lag, rollte sich zur Seite und fiel schließlich mit einem lauten RUMMS aus dem Bett, auf dem sie so unruhig geschlafen hatte. Ächzend befreite sie sich von ihren Fesseln, blieb auf dem Boden sitzen, gebückt. Ihr Magen verkrampfte sich, die Wange brannte. Ihr wurde schlecht, sie griff nach dem Wasserschlauch auf dem Boden neben dem Bett, zwang sich einige Schluck zu trinken. Keine Besserung.

Ein stechender, schneidender, brennender Schmerz ließ sie zusammenfahren, den Schlauch fallen lassen. Ihre Hand fuhr von selbst zu der schmerzenden Stelle, bedeckte die linke Hälfte ihres Gesichts.
Wieder zog die Narbe, schrie in hellsten Tönen Feuer, vernebelte ihre Gedanken und ihr Sichtfeld. Sekunden, Minuten, gar Stunden vergingen so. Sie verharrte regungslos auf dem Boden, kauernd auf allen Vieren, kämpfend gegen die Übelkeit und wartend, bis der Schmerz verging. Ewigkeiten zogen vorbei, lautlos sickerte das Wasser aus dem Schlauch auf den Holzboden, bildete einen kleinen See vor ihr. Mit dem rechten Auge blickte sie hinein, betrachtete ungewollt ihr Spiegelbild, verschwommen der Blick.
Es war ein fremdes und doch bekanntes Paar Augen, das zurückblickte.

„Denk an unser Versprechen, Erelya. Dachtest du wirklich, ich lasse dich jemals alleine?“

  1. Yvaine Linassay sagt:

    uuuh, schön spannend!!!

  2. Alejandro Salas sagt:

    MIST! So nah dran!

  3. Lintflas sagt:

    Hui, echt toll geschrieben! *Hut ab*

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