Regen (Vergangenheit)

Claddagh Arynn
15. Juli 2012 • Kommentare: 0

Die stickige Schwüle war nicht mehr  auszuhalten.  Mensch und Tier gleichermaßen litt darunter. Eine seltsame Stille hatte sich über das Gut gelegt. Die Menschen bewegten sich langsam, um sich nicht unnötig anzustrengen. Auch das Vieh stand still. Und überall war der Geruch von Schweiß.

Claddagh verfluchte ihr schweres Samtkleid. Und das Unterkleid. Und den anderen Tand, den sie heute trug. Sie konnte fühlen, wie die Schweißtropfen unter ihrem Kleid über ihren Rippenbogen rannen, bevor sie vom Stoff aufgesaugt wurden. Als sie den Blick nach links wandte und ihre Schwägerin betrachtete, konnte sie die schweißnassen, feinen Locken in ihrem Nacken sehen. Oriana war besser darin, die Contenance zu wahren und zu lächeln.  Claddagh bewunderte Oriana, nicht nur dafür, aber in diesem einen Moment wurde ihr einmal wieder bewußt, dass Sanftheit und Stille nicht gleichzusetzen waren mit Schwäche, sondern dass sie oft ein Zeichen von Stärke waren. Ihr Gast, wegen dem sie nun an Vaters Tafel saßen, war nicht so vornehm zurückhaltend. Er schnaufte und keuchte, gleichsam fluchte er über die Hitze, dass Claddagh sich spitze Bemerkungen verkneifen musste. Seine Gegenwart war lästiger als die verdammte Hitze.

Als das Essen endlich vorbei war, zog sich Claddagh in Orianas Zimmer zurück.  Sie genoß die Gesellschaft ihrer Schwägerin.  Claddagh sang ihrem  Neffen, der auch von der Hitze träge war, vor, während Oriana stickte. Sie bemerkte Claddaghs scheelen Blick auf die Stickarbeiten und lachte herzlich auf und schüttelte amüsiert den Kopf. Als Oren schließlich friedlich döste, richtete Oriana das Wort an Claddagh.

„Du magst es wirklich nicht, nicht wahr? Handarbeiten, meine ich.“

Claddagh sah kurz sehr schafig aus, dann lachte das Mädchen leise.

„Ich habe einfach kein Talent dafür. Meine Finger leiden stets, wenn ich es wage, eine Nadel anzufassen.“

Und da war wieder dieses freundliche, sanfte Lächeln, das Claddagh so liebte.

„Du hast andere Talente.“, sagte Oriana und ihre freundlichen Worte waren Balsam für Claddaghs Seele.  Sie dachte immer noch mit heimlichen Groll an die Bemerkung der Amme über ihr Geschick bei Handarbeiten. Die nächsten Worte ihrer Schwägerin trafen sie wie ein  Hammerschlag.

„Ich möchte, dass du bei der Geburt meines nächsten Kindes dabei bist.“

Oriana legte eine Hand auf ihren Bauch. Das Lächeln blieb unverändert. Über ihre Handarbeit hinweg, sah sie Claddagh an, welche sie mit offenem Mund anstarrte.

„Du…..du bist guter Hoffnung?“, brachte sie schließlich stotternd hervor.

Oriana nickte, glücklich lächelnd, und Claddagh fiel ihrer Schwägerin jauchzend um den Hals.  Diese erwiderte mit ihrem leisen Lachen ihre Umarmung. Den restlichen Tag verbrachten sie mit Gesprächen über alles Mögliche. Oriana erzählte Claddagh das Märchen von Alindra und ihrem Soldaten. Claddagh revanchierte sich dafür mit der Sage von Valandil. Sie merkten nicht, wie sich die Wolken über den Himmel zogen, wie das blendende Blau zu einem Grau wurde. Als der erste Donner kam, erschraken beide und sahen in atemloser Spannung zum Balkon hinaus. Würde es endlich regnen?

Ein Blitz zerriss den Himmel.  Krachend schlug er irgendwo in der Erde ein. Und dann begann es zu regnen. Von einem Moment auf den nächsten konnte Claddagh den Himmel nicht mehr erkennen, so dicht waren die Regentropfen.  Langsam stand sie auf und ging zum Balkon, trat zögerlich hinaus, eine Hand ausgestreckt. Als die ersten dicken Regentropfen auf ihrer Handfläche zerplatzten, lachte sie erleichtert auf. Endlich! Regen! Orianas Lachen war an ihrem Ohr, als diese nach draußen trat und den Regen mit ausgestreckten Armen und in den Nacken gelegten Kopf begrüßte. Claddagh tat es ihr gleich. Übermütig drehte sie sich um die eigene Achse, die Arme weit ausgestreckt. Innerhalb von wenigen Herzschlägen waren beide Frauen bis auf die Knochen durchnässt. Und sie waren nicht die einzigen. Der Regen trieb die Diener, Knechten und Mägdenach draußen. Alle hießen den Regen willkommen. Erleichtert und zufrieden strich sich Claddagh das Wasser aus dem Haar und blinzelte in den Himmel. Endlich Regen. Oriana erwartete ihr zweites Kind.

Heute war ein guter Tag.

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