Von Anderswo

Charaktere
11. August 2010 • Kommentare: 3

Die beiden Männer hatten im Grunde alle Zeit, die sie benötigten. Und doch war ihr Blick auf die Geschehnisse von seltsamer Unruhe geprägt. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass weder der Jüngere noch der Ältere der beiden würde eingreifen können…

Schließlich war es der Ältere der beiden, der das Schweigen brach.
„Was ist los, Junge? Sag mir nicht, dass Du nun einiges erklären möchtest.“
„Erklären… Ich würde ja, wenn ich könnte. Aber bei all der Sturheit, wer soll da bitte was erklären?“ Wie so oft begann der Jüngere auf und ab zu gehen. Etwas, das andere schon immer irgendwie in den Wahnsinn zu treiben drohte.
Der Ältere zuckte leicht mit den Schultern und blieb an Ort uns Stelle stehen. Lediglich seine Augen verfolgten die Schritte seines jungen Herrn. Er kannte das. Irgendwann würde der Junge stehen bleiben und sagen was er zu sagen hatte und so beließ es der Alte nur bei einem mehr oder minder zustimmenden Knurren.
Sein Gegenüber blieb tatsächlich stehen. „Sieh sie dir an. Der eine ist stur, weil er glaubt sein Blut lässt nichts anderes zu. Die andere ist stur, weil sie glaubt, nur so könne sie sie selbst sein. Der nächste tut es in dem Glauben zu lieben, obwohl sein Herz noch immer vergeben ist. Der einzige, der nicht stur ist, ist Giselher – den ich als Brees stursten Mann kenne.“
„Giselher!“ Der Alte schnaubte. „Der junge Hauptmann ist wie immre gefangen zwischen Gehorsam und Pflicht und seiner Dummheit. Wobei, er ist nicht mehr Hauotmann. Immerhin, etwas kluges, das er getan hat.“
„Er hat geheiratet. Das sind zwei kluge Dinge, alter Mann.“
„Ach, ist es das? Du hast auch geheiratet. Du weißt ja selber, was daraus wurde, Junge. Und erzähl mir nichts vom Heiraten. Liebe wird mit Glück nicht dadurch zerstört. Sieh sie dir an… die ganzen Verheirateten und sage mir, wer glücklich ist, Junge!“
„Glück ist Geschmackssache… Ich glaube, sie halten sich für glücklich. Genügt das nicht? Genügt dir das nicht?“
„Wahrscheinlich habe ich nie wirklich an Glück geglaubt Junge. Aber gut Dir zuliebe…“ Er schwieg eine Weile, offenbar in Gedanken versunken, bis er nachdenklich weiter sprach: „Da wäre die Frau Deines sturen Freundes, der an Blut glaubt. Ja, sie leibt womöglich. Vielleicht weiß der Bengel sogar, was er an ihr hat. Hat ja auch wenig genug Möglichkeiten sich mal zurüczuziehen. *Er lacht rau auf* Darin ist er fast wie Du, auch wenn er impulsiv ist. Sogar noch impulsiver als Du!“
Der Junge lächelte unwillkürlich ein zwiegespaltenes Lächeln. „Impulsiv in jeder Beziehung. Aber ja, ich glaube, er liebt sie. Und sie muss ihn lieben, sonst brächte sie nicht die Geduld für einen Mann wie diesen auf. Geduld braucht es. Geduld beruhigen zu können. Geduld warten zu können. Aber ich frage dich, alter Mann, wer hat für sie Geduld? Wer wartet auf sie?“
„Das, Junge, ist das Schicksal jener Frauen. Wenn Du mich fragst, kannst du all die Fürsten, Herzöge, Grafen und was es sonst noch so gibt ersetzen. Die Frauen aber, sie sind das Rückgrat – sie mich nicht so blöde an, in meinem Alter darf ich mir Sentimentalität erlauben – Sie sind es! Es gibt nämlich keinen, der auf sie wartet. Wenn es gut läuft, dann erkennen sie im Blick ihrer Männer, dass diese darum wissen.“
„Wenn man sie sieht, weiß man, dass es zumindest diese Frau sieht. Und Giselhers Frau wohl auch. Ungeachtet der Fehler der Frauen und der ihrer Männer. Ist das nicht Glück?“
Der Alte knurrte unwillig. Musste er seinem Gegenüber doch zumindest teilweise recht geben. „Na gut, für diese mag es gelten. Unser Seneschall scheint ja einiges auf sich zu nehmen, damit er diese Frau haben kann. Dein Punkt, Junge.“
„Aber mit den anderen… magst du Recht haben, alter Mann. Ob unsere Sonnefruchtkönigin diesmal glücklich wird? Mit einem Mann, der Frauen noch lernen muss?“
„Verdient hätte sie es sicher. Aber immerhin weiß dieser Mann, dass es ratsam ist, einer Dame in die Augen zu sehen und er zuckt nicht zusammen, wenn man ihn anspricht. Wobei ich Salas immerhin zugestehen muss, dass er das nicht mehr tut. Seltsam ist er dennoch, liegt wohl in der Familie.“
„Seltsam sind sie alle. Ausnahmslos. Auch Männer stolpern hier von einer Ehe in die nächste. Und wirkt er für dich glücklich? Ich denke nicht. Wirkt er glücklich, jetzt, da er Befehle geben kann und Titel hat? Doch wohl kaum.“
„Gehetzt, bestenfalls. Muss sich wohl ständig beweisen und vergisst darüber seine Arbeit. Wahrscheinlich ist es nicht ganz einfach blaues Blut und Arbeit zu vereinen, eh? Vielleicht fehlt es ihm einfach an Möglichkeiten.“
„Möglichkeiten schafft man sich. Du, ich und alles dort sind der Beweis dafür. Alles entstand aus dem Nichts. Aus der blanken Möglichkeit es könne so sein.“
Der Alte knurrte erneut. „Dafür braucht es Schneid, Junge. Und Ausdauer.“
„Dafür braucht es vor allem die Idee. Zeig mir ihre Ideen, alter Mann! Siehst du welche?“
„Junge, hast Du den Verstand verloren? Sie haben genug damit zutun, die alten zu wahren! Der Seneschall und seine Ideale, unsere tragische Dame und ihre Verbindung zur Familie Salas… sogar der Herzog, auch wenn er Generationen von Blut bewahren will.“
Der Jüngere machte eine unwirsche Geste. „Aber diese Ideen braucht es! Sieht das denn sonst niemand?!“
Der andere brummte leise, dann schüttelte er den Kopf. „Ich glaube nicht. Wer sollte sie auch haben. Sie haben alle soviel zutun. Jemand sollte ihnen sagen, dass sie schon alles haben.“
„Du vielleicht, alter Mann?“
„Wohl kaum. Sie würden nicht hören. Es ist dein Haus, Junge… wobei das auch nur noch tweilweise stimmt. Es sind viele neue Gesichter da.“ Er knurrte erneut. „Und dieser Rotzlöffel. Kein neues Gesicht, aber ein junges. Und er ist Kämmerer. Pah! wahrscheinlich eine Art philosophisches Experiment.“
„Mein Haus? Sie brauchen einen Stein um sich daran zu erinnern, alter Mann. Alles andere ist längst vergessen. Sogar mein Bruder, meist. Und er… Sei nicht so hart zu ihm. Er verlor den Vater, noch ehe er starb. Wer hätte ihm beibringen sollen ein Mann zu sein? Sein Bruder wohl kaum. Und mir fehlte die Zeit… Ich weiß, ich habe nicht genug getan. Für keinen von ihnen. Nicht für den Jungen, nicht für Atherton – nicht für den Herzog, dem Trümmer blieben, weil jeder glaubte mich besser zu kennen als ich selbst.“
„Was braucht es eigentlich noch, um Dich davon abzubringen, Dein Leben für alle zu geben? Ich würde meinen, Deine Möglichkeiten sind in der Hinsicht begrenzt. Es ist unerheblich, was Du getan hast oder unterlassen hast. Es waren keine Trümmer, die Du hinterlassen hast. Es war eine Möglichkeit. Es ist eine Möglichkeit. Setzt nur voraus, dass jeder Einzelne erkennt, dass er ein Stein in diesen Mauern ist… verflucht, ich rede schon ein Gelehrter – du weißt, was ich meine, Junge.“
Der Junge verschränkte die Arme und hob den Kopf in einer leicht trotzigen Geste. „Gut, wenn du es so haben willst… Nenn mir drei, nur drei von ihnen, die das begriffen haben. Ich warte.“
Der Alte fixierte den Jüngeren vor sich und knurrte. „Na schön, Junge. Der Bursche mit der Glatze. Auch wenn er das selber vielleicht nicht glaubt, aber was kann man von einem breeländischen Bauern auch erwarten. Die Frau des Herzogs. Ist Dir mal aufgefallen, wie sie die Fäden in der Hand hält?.. Mal sehen, wer noch… Ah. Wirf einen Blick auf die Garde in ihren neuen roten Uniformen. Die Hälfte versteht vermutlich nicht, was sie darstellt, aber sie stehen zu ihrem Herrn… und der verkörpert gerade Minas Faer. Ha! Was sagst du nun, Junge?“
„Ich sage: Denke darüber nach, wen du nicht genannt hast. Dann wird dir auffallen, was da nicht läuft wie es sollte. Und warum es so nicht gut werden kann.“
„Ich sollte drei nennen. Wen nennst Du denn?“
„Die Wahl ist gut. Aber sie ist nicht der Herzog. Warum? Weil er kein Stein in der Mauer ist, sondern glaubt außen vor zu stehen. Solange er das glaubt, wird auch nicht der Rest begreifen, dass sie Steine in der Mauer sind. Schon gar nicht übrigens der Sohn des Toten, der dir so schmerzlich am Herzen liegt.“
„Der Herzog ist aus anderem Holz geschnitzt. Sollen sie halt umdekorieren. Ist er halt ein Schlusstein.Man nennt das Entwicklung.. der junge Bursche? Der versteht nichtmal, wenn man ihn einen Stein vor den Kopf schlägt! Würde den zu gerne fragen, warum er sich das antut. Faselte zu meiner Zeit immer was von Hunden und Gehorsam.“
„Reine Verzweiflung. Ich glaube nicht, dass er das je wirklich gemeint hat. Zu was hätte das mich gemacht? Und ihn. Und alle, die er je geschätzt haben mag. Außerdem… Selbst wenn sie Hunde sind, auch jetzt, dann sind sie… lebende Hunde. Weniger oft verletzt. Ich jedenfalls weiß, dass ich nur einen Hund hatte. Und ich erinnere mich gut daran ihn freigelassen zu haben. … Schmerzt die Hand noch immer manchmal?“
Der Alte schüttelte den Kopf. „Das ist vorbei, Junge. Ich habe keine Schmerzen mehr. Nur Erinnerungen.“
„Manchmal erinnert man sich auch an den.“
„Wahrscheinlich. Vielleicht sollten wir beobachten, welche Narben dort entstehen, wo wir schon beim Thema sind.“
„Narben sind wo Enttäuschung ist.“
„Dass du das sagts war klar. Aber es muss nicht stimmen. Denk an meine.“
„Stimmt doch. Ich dachte du warst soweit. Warst du nicht. Also hast du jetzt eine Narbe. Nun – eine Hand jedenfalls. Und die auf deiner Brust ist nicht anders. Ein Eid. Ein Bruch. Eine Narbe dafür.“
„Und etwas, was daraud erwachsen ist, Junge. Du verwechselst die Rollen, der Pessimist bin ich.“
„Du warst immer ein guter Optimist, wenn ich zu pessimistisch wurde. Willst du mir sagen, das hat sich geändert? Ha!“
Erneut knurrte der Alte. „Dann sieh genau hin, Junge. Sie halten sich alle fest an Minas Faer und dafür war es doch gedacht ode rnicht? Ich glaube es lohnt sich, weiter zu beobachten.“
„Nicht alle halten sich daran fest…“
„Das taten sie nie, also tu nicht so überrascht.“
„Narben entstehen… wo man enttäuscht wurde.“
„Na schön, Junge. Jetzt hast Du ja alles über Narben gesagt und geflissentlich ignoriert, was ich dazu sagte. Fällt Dir zu deiner Stadt auch etwas positives ein?“
„Die Stadt selbst? Sie ist fast fertig. Warum sie nicht zurückkehren, verstehe ich nicht. Lieber befolgt man die Befehle eines Verrückten. Aber sie ist sicher und stabil.“ Er schmunzelte. „Auch wenn es mir schwer fällt Giselher als Landbesitzer zu sehen.“
„Ihm geht es sicher genauso. Aber das ist es ja, wir sind alle über unsere Schatten gesprungen. Giselher tut es… dein Verrückter ebenso.“
„Ich glaube, wir meinen verschiedene Verrückte.“
„Du denkst eben größer als ich… und du kennst sicher die Frage, wer nun der größere Narr ist.“
„Alter Mann… Ich mache mir Sorgen um sie alle…“
Der Alte nickte. „Natürlich tust du das, Junge. Lass uns abwarten und sehen, was daraus wird.“
Auch der Junge nickte still und beobachtete weiter.

  1. Zarroc sagt:

    *grübegrübel*…..*grübelqualm*…*qualmgrübelqualm*….*PENG*……geplatzt.

  2. Sethur sagt:

    Sehr sehr cool. Trotzdem fehlt mir ein Knurren! 😉

  3. Giselher Aldorn sagt:

    Wir haben Zarroc kaputt gemacht!

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