Ungenügend

Tobian Dornlag
19. Dezember 2010 • Kommentare: 4

Es war sicherlich für alle Beteiligten eine Erlösung, als Tobian fortging, um den Putzeimer auszuleeren. Endlich sah der Bereich nicht mehr aus, als hauste dort ein Bauernjunge aus dem Breeland sondern wie der mehr oder minder persönliche Raum eines Gardisten. Dass es viele harsche und auch sehr laute Worte gebraucht hat, trug nicht dazu bei, dass der Junge sich mehr wie ein Gardist fühlte. Den Eimer hatte er im Garten weit von sich geschleudert und lag nun bäuchlings, alle viere von sich gestreckt, im Schnee. Dort lag er mit offenen Augen und das was er sah, war weder das weiß des Schnees, noch war es schwarz oder irgendetwas zwischen diesen beiden Farben.

Was er sah, lag eindeutig jenseits davon und ließ sich mit der menschlichen Sprache, die nicht in der Lage ist, mit Sinneseindrücken verbundene Gefühle und Gedanken zu übermitteln, nur unvollständig wiedergeben, auch wenn viele Leute es in mehr oder minder poetischen Wegen versucht hatten. Was Tobian sah, entgegen aller realen Notwendigkeit dazu, waren Gesichter. Was er hörte, ungeachtet des Fehlens jeder realen Grundlage dazu, waren die Stimmen, die den Personen gehörten, die auch die gesehenen Gesichter ihr eigen nannten. Die Gesichter waren fünf an der Zahl, die Sätze die sie sprachen, ein paar mehr.

Das erste Gesicht war das des Knappen Eondra. Sein Auftauchen wurde begleitet von einer grenzenlosen Furcht, die sich in blankes Entsetzen verwandelten, als das Gesicht vor Zorn und Hustenkrämpfen errötet brüllte „Das ist nicht euer Ernst, Gardist?!“

Das zweite Gesicht war das des Korporal Faeryllian. Das Entsetzen wich nun einer Panik, die den jungen Möchtegern-Gardisten dazu veranlasst hätte, sich in die Hose zu machen, wenn nicht der kümmerliche Rest seiner Selbstachtung diesem einen Riegel vorgeschoben hätte, in dem Wissen, dass dadurch nichts gewonnen wäre. Tobian zitterte – nicht weil er im kalten Schnee lag, vielmehr erbebte er bei jeder Silbe, als Faeryllian rief „Was in Mordors Namen?! DORNLAG!“

Das dritte Gesicht war das des Fürsten. Neben all der Angst fanden nun zwei weitere Gefühle Platz. Ererbietung dem Hohen Herrn gegenüber, der ihn da in seiner Halluzination beehrte. Und der unbändige Wunsch, auf der Stelle im Boden zu versinken (Was, da Tobian ja im Schnee lag, auch ein Stück weit gelang). Der Fürst war der einzige der Köpfe, der nichts sagte. Seine bloße Anwesenheit, ließ die Worte ertönen, die damals eine solch radikale Veränderung des jungen Rekruten begonnen hatten „Vier. Wochen. Formaldienst“. Ein Leises Wimmern wurde vom Schnee geschluckt, als Tobian die Augen zusammenkniff. Damit verschwanden die Gesichter der Gegenwart und machten Platz für die der Vergangenheit.

Das vierte Gesicht war das eines älteren Herrn, den von den Angehörigen des Hauses vermutlich nur Giselher und Tobian als den alten Dornlag erkannt hätten. Die Angst blieb unvermindert, vermischte sich mit Scham. Der Kopf starrte ihn eine Weile an. „Du? Gardist? Pah. Versuchs. Noch bevor das Jahr um ist wirst du wieder hier auf der Matte stehen. Und dann kannst du froh sein, wenn ich dich wieder hier aufnehme!“

Das fünfte Gesicht war das seines Bruders. Robbi Dornlag. Bewunderung für den älteren Bruder mischte sich in diese seltsame Mixtur aus Gefühlen. Der Kopf lachte. „Eine Wache willst du werden? Pah. DAS will ich sehen.“

Tobian blieb noch eine Weile im Schnee liegen. Die Augen nun halb geöffnet.

Das sechste Gesicht war alle bisherigen zusammen. Es wechselte von einem zum nächsten und sprach mit der Stimme des Gesichtsbesitzers. Es warf Tobian all die gehörten Sprüche immer und immer wieder vor, es teilte sich und sprach mit zwei Stimmen gleichzeitig. Tobian hörte sie irgendwann nicht mehr. Die wohlige Kälte hatte ihn in den Arm geschlossen und kühlte die heißen Tränen, die der Schnee in sich verbarg. Erst nach sehr langer Zeit richtete er sich bibbernd auf und kehrte in das Haus zurück.
Dort reinigte und trocknete er die Uniform.
Dort beseitigte er Ordnungsgemäß die Spuren, die seine Nassen Stiefel hinterlassen hatten.
Erst dann hüllte er sich in seine Decke, die er vom Bett nahm und blieb damit die ganze Nacht vor dem Kamin sitzen. Seine Augen waren zwar auf das Feuer gerichtet und seine Ohren im naturgegebenen Winkel zu den Seiten seines Kopfes hin und doch sah und hörte er nichts, was in dieser Welt existierte.

  1. Eondra sagt:

    DAS war soooo geil 😀 *epische Fahne schwing*

  2. Giselher sagt:

    Eine Mischung aus Mitleid und… Herrje, Dornlag sollte besser nicht eingeloggt werden, um den Formaldienst anzutreten ;D

  3. Heridan sagt:

    NOCH hat er ja keinen Formaldienst. Das was der Fürst sagt, ist seine Erinnerung aus der letzten Inspektion.

  4. Giselher sagt:

    Jaha NOCH, mein Lieber 😀 Gis hat den IC-Bericht bekommen.

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