Reue

Claddagh Arynn
21. Februar 2013 • Kommentare: 1

Reue

 

Der Schlag traf das kleine Mädchen voller Wucht, ließ den Kopf herumrucken. Der fast schwarze Zopf peitschte hinterher.  Die Haut ihrer Wange brannte, der Schlag hatte weh getan, trieb ihr Tränen in die Augen….

….und doch sprach sie nicht.

Bebend vor Zorn stand Claddaghs Mutter vor ihr, die Hand noch erhoben, der Mund verkniffen.

„Du undankbares Gör, rede endlich!“, kreischte sie.

Bockig schwieg Claddagh, ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten. Der nächste Schlag würde kommen, das war sicher. Sie war sich nicht sicher, ob sie weiterhin schweigen würde, wenn der Schlag käme. Wieder erhob ihre Mutter die Hand, vor Zorn bebend. Claddagh schloss die Augen fest und zog den Kopf zwischen die Schultern, wappnete sich.

„Mutter!“

Corwhins Stimme, scharf wie ein Peitschenknall. Claddagh hörte seine Schritte auf dem kalten Steinboden, er kam zügig und entschlossen näher. Claddagh wurde hochgehoben, eigentlich würde sie nun wild protestieren, dass sie schon groß wäre, aber gerade kämpfte sie mit den Tränen…die Ohrfeige, das Schimpfen, der harsche Tonfall ihres Bruders…so blieb sie still, als Corwhin sie hoch nahm und aus dem Zimmer trug. Stattdessen kuschelte sie sich an seinen Hals, schlang die Arme um seine Schultern. Plötzlich fühlte sie eine Decke um sich herum und ihr Bruder trug sie hinaus, zum Stall. Dort hob er sie vorsichtig auf Braans Rücken. Claddagh durfte nicht auf Braan reiten, er war zu groß für sie, aber da Corwhin sich hinter ihr in den Sattel zog, war das wohl in Ordnung. Bald schon legte sich ein schützender Arm ums sie und Braan trabte los, aus dem Tor hinaus. Dicke Flocken tanzten durch die Luft. Claddagh war ruhig. Nur gelegentlich kam ein Schniefen von ihr. Ihr Bruder lenkte Braan zum Wald. Dort gab es eine bestimmte Stelle, welche die Arynn-Kinder mochten: ein alter Baum, hohl und umgestürzt. Dort stieg Corwhin aus dem Sattel und hob Claddagh heraus. Er ließ sie nicht etwa laufen, nein, er trug sie zu dem Stamm und setzte sie darauf. Dann setzte er sich neben sie, schlug seinen Mantel um ihren Körper.  Claddaghs Gesicht wurde auf der einen Seite dick, also nahm Corwhin etwas Schnee und rückte ihn dagegen, was sie vor Schmerz quengeln ließ.

„Warum weigerst du dich, mit Mutter zu reden?“

Schweigen.

Corwhin wartete geduldig. Als das Schweigen nicht enden wollte, seufzte er.

„Er fehlt mir auch.“

Claddaghs Kopf ruckte herum zu ihrem großen Bruder. Meinte er das ernst? Corwhin sah traurig gerade aus.

„Nächsten Sommer  werde ich heiraten – ich muss. Für die Familie. Das….das macht mir Angst. Conwealh wusste das, mit ihm konnte ich reden. Nun ist keiner mehr da.“

„Ich bin da!“, protestierte Claddagh und legte eine Hand auf die seine, welche immer noch auf ihrer Schulter ruhte.

Diese Geste ließ Corwhin lächeln. Sachte drückte er ihre Schulter.

„Ja, du bist da. Und du machst immer Ärger!“, brummte er und musste lachen. Claddagh warf ihm einen Blick zu, in welcher wahre Geschwisterliebe stand. So sah eine kleine Katze aus, kurz bevor sie den Hund ansprang. Und das tat Claddagh auch. Sie sprang ihren Bruder zwar nicht an, boxte ihn aber beherzt in die Seite. Dieser hatte dafür nur ein Schmunzeln übrig, was Claddagh nur noch mehr ärgerte.

„Stimmt nich!“, plusterte sie sich auf.

„Doch.“

„Nein!“

„Doch.“

„NEIN!“

„Du redest nicht mit Mutter.“, stellte Corwhin trocken fest. „Sie hat dich geschlagen. Das hatte einen Grund.“

Wieder verfiel Claddagh in bockiges Schweigen und starrte feindselig einen Baumstamm an. Hätte dieser weglaufen können, er hätte es wohl getan, doch so war er dem Blick des Mädchens schutzlos ausgesetzt. Ein Wunder, dass er nicht Feuer fing.

„Dein Schweigen bringt ihn nicht zurück.“, stellte Corwhin unnötigerweise fest. Claddagh knurrte unwillig. Wieder musste der große Bruder lächeln, zu sehr erinnerte ihr Verhalten ihn an eine junge, widerborstige Katze. „Und vielleicht wird es Conwealh gut gehen, dort, wo er nun ist.“

„Aber er ist nicht da! Er sollte hier sein! Er kann doch nichts dafür, dass er nicht Mutters Sohn ist! Das ist ungerecht!“, platzte es aus dem Mädchen heraus, ehe Claddagh sich schniefend an ihren Bruder kuschelte.  Dieser drückte seine Schwester an sich und strich ihr über die Schulter, was sie nur noch mehr schniefen ließ. Corwhin schalt Claddagh nicht, denn er  hatte eine Ahnung, dass dieser Weinkrampf für das Mädchen wichtig war und sie hinterher milder gestimmt wäre. So beschränkte er sich auf das Streichelnd und ein gelegentliches Brummen, dass alles gut werden würde.

„Ich weiß, Schnee. Ich weiß. Das Leben ist nicht immer gerecht, das weißt du doch.  Bei keinem von uns. Rede wieder mit Mutter, ich bitte dich. Dann wäre es nicht mehr so trübsinnig an unserem Tisch.“

Vorsichtig, um nicht die leicht geschwollene Wange zu berühren, nahm Corwhin Claddaghs Kinn in die Hand, damit sie ihn ansah.

„Unsere Eltern hatten einen Grund, Conwealh wegzuschicken. Mutter ist traurig, weil du nicht mit ihr sprichst.“

Claddagh blinzelte.

Mutter war traurig?

Auf diese Idee war sie noch gar nicht gekommen! Ihr Schweigen verletzte Mutter….

Sicher hatte sie Mutter strafen wollen, aber dass es ihr gelungen war, überraschte und verwirrte sie. Mutter. Eine große Frau mit rotbraunem Haar und blassen blauen Augen. Streng, selten ein wohlwollendes Lächeln auf den Lippen. Selten ein liebes Wort, oft Tadel.

Sie war traurig?

Meinetwegen?

Meine Schuld!

Dieser Gedanke erschrak sie. Ein unangenehmes Kribbeln kroch ihr Rückgrat herunter. Das hatte sie nicht gewollt! Oder doch? Claddagh hatte so eine unangenehme Ahnung, was der Name dieses unangenehmen Kribbelns war: Reue.

Nein.

Neinneinneinneinnein!

Das kleine Gör schälte sich aus dem Arm des Bruders, sprang vom Baumstamm, ignorierte das Kribbeln in der Wange und rannte zum Pferd.

„Wo willst du hin?“, fragte Corwhin verwundert.

„Nach Hause!“, rief sie und angelte nach dem Riemen vom Sattel, in dem hoffnungslosen Versuch, sich daran irgendwie in den Sattel zu ziehen. „Hilf mir, ich komme nicht hoch!“

Schmunzelnd kam der große Bruder und half seiner kleinen Schwester aufs Pferd, dann saß er hinter ihr auf. Als sie wieder zurück im Hof waren, wartete Claddagh nicht, bis er sie aus dem Sattel half, sondern sprang einfach herunter und rannte, so, wie sie war, zu den Gemächern ihrer Mutter. Dass ihre Schuhe dreckig waren und der Saum des Kleides nass, störte sie nicht.

Bei den Gemächern ihrer Mutter angekommen, riss Claddagh die Tür auf, ohne zu klopfen, und rannte ins Zimmer. Ihre Mutter musste sie nicht lange suchen, diese saß in einem hohen Stuhl vor dem Kamin und nähte. Als die Tür so geräuschvoll aufgerissen wurde, blinzelte sie und fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen, legte das Nähzeug weg, stand auf und strich sich das Kleid glatt. Der strenge Gesichtsausdruck ließ das Mädchen innehalten. Doch als sie genauer hin sah, sah sie dir roten Augen ihrer Mutter, sah, dass sie sich mehr als sonst beherrschen musste, streng zu schauen.

Meine Schuld….

Claddagh rannte auf ihre Mutter zu, sprang sie an und umklammerte sie.

„Nicht mehr traurig sein, ich sage, was du willst!“, bettelte sie, das Gesicht tief ins Kleid gepresst. Langsam schloss ihre Mutter die Arme um das Mädchen und führte sie langsam zu der Bank vor dem Kamin, auf welche sie so oft saß und Handarbeiten erledigte. Behutsam schob sie ihre Tochter auf diese, ehe sie sich selbst setzte. Wieder zog sie ihre Tochter in die Arme, strich ihr durch die Haare. Solche Zärtlichkeit erfuhr Claddagh selten von Mutter.

„Es tut mir leid“, sagte sie leise und schmiegte sich wieder an ihre Mutter an.

„Mir auch“´.

Mutter hatte sich entschuldigt? Hatte sie das gehört oder sich eingebildet?

Claddagh atmete auf, als sie aus dieser Erinnerung auftauchte, wie aus einem See. Immer noch spürte sie die mütterliche Hand durch ihr Haar gleiten, konnte die Wärme und Geborgenheit der Umarmung noch fühlen. Doch sie wusste, dass es  nur eine Einbildung war. Diese Erkenntnis  versetzte ihr einen Stich und ließ sie die Mutter schmerzlich vermissen. Ein anderes Bild tauchte aus dem See der Erinnerungen auf, doch das wollte sie nicht sehen, als stand sie von dem alten Baumstamm, auf dem sie gesessen hatte, auf.

Der junge Söldner kam ihr entgegen.

„Herrin, es geht weiter.“

Claddagh nickte ihm dankend zu und sah zu Taramer. Seit dem Morgen hatte er kein Wort mit ihr gewechselt. Sonst sprach er auch wenig, aber diese Stille heute war anders. Kälter. Als sie sich an den kalten Blick, den er ihr am Morgen zugeworfen hatte, erinnerte, zuckte die junge Frau zusammen. Sie war ungerecht zu ihm gewesen, dass wusste sie. Ein Fehler. Und nun war da diese Kälte, hatte die Wärme, die es zuvor gegeben hatte, ausgelöscht. Claddagh löste den Blick von dem Gardisten, der sich gerade um die Alte Dame kümmerte und ging zu ihrem Pferd. Sanft strich sie über Sunnas Hals, ehe sie sich in den Sattel zog und sich anschickte, ihren Platz im Tross einzunehmen.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass ihr eine Hand durchs Haar strich.

„Wenn du einen Fehler gemacht hast, gesteh ihn ein und sag, dass es dir Leid tut.“

Mutter?

Erschrocken sah Claddagh sich um. Sie war nicht hier. Natürlich nicht. Mutter war tot.

Jetzt höre ich schon Stimmen, dachte Claddagh mürrisch. Aber die Stimme hatte Recht. Sie würde Taramer heute Abend sagen, dass es ihr Leid tat. Es war die Wahrheit.

  1. Sethur sagt:

    Facebook-geschädigt habe ich mich gerade ertappt, nach dem „Like“-Button zu suchen. Gefällt mir! Sehr rührend. 🙂

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