Warten (Gegenwart)

Claddagh Arynn
4. September 2013 • Kommentare: 1

Der Anblick des aus dem Sattel stürzenden Soldaten war nicht das Schlimmste, was Claddagh in ihrem Leben gesehen hatte, aber in jenem Moment fielen ihr die schlimmeren Dinge nicht ein. Langsam war die Alte Dame die Brücke entlang gegangen, müde. Sie war verletzt. Zuerst hatte Claddagh sich mehr Sorgen um das Tier gemacht, doch dann war ihr die zusammengesackte Haltung des gondorischen Sturkopfes, ähm, des Gardisten aufgefallen.  Kurz darauf fiel er aus dem Sattel. Wie ein Sack Kartoffeln. Und blieb regungslos liegen. Einen Moment saß Claddagh stocksteif im Sattel, nicht wissend, was sie tun sollte.

 

Er war zu schwer, sie würde ihn ja schon ohne Rüstung kaum von dort weg gezerrt bekommen.

Angst. Wie sie dieses Gefühl hasste! Wut war nützlicher. Wut konnte einen antreiben, einem Kraft geben, während Angst für nichts anderes gut war, als einen zu lähmen und einen harten, kalten Klumpen im Magen entstehen zu lassen. Also entschied Claddagh, wütend zu sein. Und mit der Wut kam die Entschlossenheit. Sie würde Taramer irgendwie ins Lager bringen und ihm dann, wenn er zu Bewusstsein kam, in aller Ruhe das Fell über die Ohren ziehen. Die junge Frau trieb ihre ebenso junge Stute an und sprang, noch bevor Sunna vollständig angehalten hatte, neben Taramer  vom Pferd.  Wie er dort lag, sah es sehr unbequem aus. Rasch ließ sie sich auf ein Knie nieder und zerrte ungeduldig den Handschuh ihrer linken Hand herunter um ihm diese Hand vor Nase und Mund zu halten.

 

Er atmete noch.

 

Zwei der zurückgebliebenen Söldner halfen ihr, Taramer zum Lager zu bringen. Ihn aus der Rüstung zu schälen, war  fast unmöglich, aber Claddagh lehnte stur jegliche Hilfe hierbei ab. Es war ihre Aufgabe, nicht die der anderen!

 

Nachdem sie ihn aus  Rüstung und Kleidung geschält hatte, machte sie sich daran, seine Wunde zu versorgen. Als sie diese auswusch, stöhnte Taramer auf, wurde aber nicht wach. Das erleichterte ihr das Arbeiten.

 

Dann hieß es warten. Darauf, dass er aufwachen würde.

 

Claddagh hasste es, zu warten.

 

Doch sie tat es.

 

Ein Tag verging.

 

Ein weiterer.

 

Sie saß still an dem Lager, sah den Soldaten sich herumwerfen und hörte sein Ächzen.

 

Er wachte nicht auf.

 

Das Fieber stieg.

 

Claddagh  saß in der Dunkelheit neben dem Lager und rang die Hände. Sie hatte schon einmal zugesehen, wie das Fieber einen starken Mann aufgefressen hatte. Er war immer kleiner geworden, bis nur noch die leere Hülle übrig geblieben war, die sie begraben hatte. Seinen breiten Ring trug sie immer noch an einem Lederband um den Hals. Ein ungutes Gefühl hatte sie beschlichen und es wurde zunehmend stärker, je mehr Zeit verging.

 

Ein Stöhnen schreckte sie auf. Claddagh war in einen Tagtraum gefallen. Sie hatte von der Vergangenheit geträumt, wie so oft, wenn sie sich einsam fühlte. Noch ein Stöhnen kam aus Taramers Mund.

 

Es klang wie ein Name. Claddagh wusste, wessen Name es war: der jener Frau, die für ihn so wichtig war. Immer noch. Ihr Herz wurde schwer.

 

Sie stand auf, ging zu einer kleinen Schale mit Wasser und tauchte ein Tuch hinein. Sie wrang es aus, kam damit zum Lager zurück, legte es dem Fiebernden auf die Stirn. Dabei beugte sie sich über sein Lager, brachte ihr Gesicht dicht an seines. Er roch salzig.

 

„Wenn du es wagst, zu sterben, trete ich dir so fest in deinen breiten sturen Soldatenarsch, dass du von hier nach Gondor fliegst, du verdammter, dickköpfiger, maulfauler…..denk nicht mal dran!“, knurrte sie ihn an, sich ihrer Hilflosigkeit nur zu deutlich bewusst. Sie richtete sich wieder auf, sah sich um, als wäre noch jemand hier.

 

„Hol ihn noch nicht zu dir.“, bat sie in die Stille hinein. „Er wird hier noch gebraucht.“

 

Jene, welche Claddagh angesprochen hatte, antwortete nicht. Sie hatte auch nicht damit gerechnet.

In dieser Nacht träumte sie. Sie träumte davon, wie der alte Hofhund gestorben war und ihre Mutter ihr erklärte, dass der Tod alles und jeden erwartete. Sie hatte dem Hund einen Namen gegeben, keinen sehr schmeichelhaften, aber er hatte einen. Und somit war der Hund jemand für sie, nicht nur irgendein Tier. Mutter hatte sie gerügt, sanft, aber mit Nachdruck.

 

Wieder weckte der Gardist sie. Er stöhnte und warf sich auf dem Lager herum. Müde stand Claddagh auf, deckte sein Bein auf, wechselte den Verband. Dabei fiel der jungen Frau die Gänsehaut an seinem Körper auf.

 

Er fror.

 

Schüttelfrost.

 

Auch das noch!

 

„Verdammte Scheiße!“, entfuhr es ihr, als sie den großen Körper des Gondorers zudeckte.

 

„Vergiss dich nicht, junge Dame!“, hörte sie die alte, strenge Stimme der Mutter. Beinahe hätte sie sich umgedreht, doch im letzten Moment wagte sie es nicht – aus Angst, ihre Mutter würde wirklich dort stehen, hinter ihr und sie streng mustern.

 

Das Rascheln von Röcken erklang, als der Geist näher kam. Noch immer weigerte Claddagh sich, aufzuschauen und bohrte ihren Blick auf die Decken, die Taramer zudeckten.

 

„Er schwindet. Wie Bron.“ Die Stimme klang besorgt. Claddagh kniff die Augen zusammen. Doch dann fiel ihr etwas auf.

 

„Was mit Bron passierte, kannst du nicht wissen, Mutter. Du warst schon tot.“

„Wir sind nicht mehr als Schatten, die du rufst, wenn du dich allein und hilflos fühlst.“, entgegnete die Stimme. Claddagh schnaubte unwillig.  Um die Stimme nicht weiter beachten zu müssen, wandte sie sich wieder Taramer zu. Abermals legte sie dem Gardisten die Hand auf die Stirn. Er war warm und doch zitterte er, als sei dem Mann kalt. Verdammt, irgendetwas musste sie doch tun können, damit….

Ihr fiel ein, dass sich Mutter manchmal zu ihr gelegt hatte, wenn Claddagh als Kind krank gewesen war. Sie hatte ihre Tochter in die Arme genommen und getröstet, ihr Geschichten erzählt und vorgesungen. Die Nähe und der Trost hatten ihr immer gut getan. Sie hörte, wie der Geist missbilligend die Luft einzog. Ganz wie Mutter. Sie sah das missbilligende Gesicht ihrer Mutter förmlich vor sich. Wässrig blaue Augen, eine erhobene Braue, die Stirn in Furchen, graue Strähnen im dunkelbraunem Haar, ein strenger Zug um die Lippen.

Claddagh fielen die Worte Ser Aldorns ein. Es schien ein anderes Leben zu sein und damals hatte sie sich keinen Reim auf die Warnung Ser Aldorns machen können. Der Fürst gestattete nicht mehr als Hände halten. Claddagh war damals nicht in den Sinne gekommen, mit Taramer Hände zu halten, wozu auch? Und auf den Tanz, der von der Dame Ellena angeordnet worden war, nun ja….auf diesen hätte sie verzichten können, Taramer hatte damals mit der Leidenschaft eines toten Fisches getanzt.

Doch jetzt….

Etwas hatte sich geändert.

In diesem Moment warf der Soldat sich abermals herum, die Decke rutschte von den breiten Schultern und gab den Blick auf die Narben frei.  Taramer war wegen Ungehorsam bestraft worden. Claddagh wollte sich nicht ausmalen, wie sehr es schmerzte, wenn unter der Wucht des Schlages die Haut aufplatzte wie  eine Tomate. Sie war einmal mit dem Gürtel verprügelt worden, als sie wirklich zu weit gegangen war…..und der Stock wäre wesentlich schlimmer.

Doch der Eid bedeutete, dass man sich helfen sollte, wo man konnte. Oder nicht?

Sei es drum!

Hektisch begann Claddagh, die Schnürung des  Überkleides zu lösen und es sich über den Kopf zu zerren. Dann kam das erste Unterkleid an die Reihe, dann die Schuhe. Dann nahm sie sich noch eine Decke, ging auf das Bett zu.

 

„Wenn du das tust, wird der Stock des Fürsten auf deinem Rücken tanzen!“, zischte ihre Mutter.

 

Abermals blieb sie unsicher stehen. Es würde weh tun.  Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, aus reiner Nervosität. Doch dann stieg ein Satz aus dem Sturm ihrer Gedanken hoch, ein Satz, der sie daran erinnerte, was es bedeutete, einen Eidbruder zu haben.

Blut für Blut.

„Dann tanzt er eben“, knurrte sie der Stimme zu, überwand den letzten Abstand zum Lager, deckte Taramer wieder zu, legte noch die zweite Decke über ihn, ehe sie sich neben ihn, zwischen die beiden Decken legte.  In jenem Moment warf Taramer sich wieder herum, zog sie an sich, was Claddagh überraschte. Sie quiekte leise. Dann strich die junge Frau dem alten Soldaten eine Strähne aus der schweißnassen Stirn, beobachtete sein Gesicht genau. Er zuckte ständig, war unruhig, hatte Schmerzen, vielleicht auch Träume. Claddagh seufzte tief, legte einen Arm um ihn. Leise begann sie, zu singen. Es war ein altes Wiegenlied, das ihr vorgesungen worden war und das sie ihrem Neffen vorgesungen hatte, wenn er krank gewesen war oder nicht schlafen konnte.

 

Claddagh hielt den Mann wie einen kleinen Jungen, strich ihm beruhigend durchs Haar, sang für ihn und betete, dass das Fieber fallen würde.

 

 

 

 

  1. Cinlir Winthallan sagt:

    Tjaha! Wenn der Fürst DAS rauskriegt! … Bin gespannt, was er dann sagt. 😉

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