Lieber Vater,
schlussendlich bin ich nun auf Anraten Antain’s in Schlucht angekommen…
Kratzend pausierte die Feder auf dem Pergament. Najisa, den Kopf auf die linke Hand gestützt, starrte auf die einzige Zeile, die die Leere des Pergaments zu einem vollen Brief hätte füllen sollen. Doch heute wollten die Worte an ihren Vater nicht so fließen wie sonst.
Seufzend richtete sich das Mädchen auf, die Feder zurück in das Tintenfass steckend. Die Kerze auf dem kleinen Tisch, an dem sie saß, schob flackernd die Schatten durch ihr Zimmer, fast wie kleine Geister, die sie umschwirrten.
„Es nützt nichts… Er will bestimmt wissen, wie es mir ergangen ist. Ich sollte es ihm nicht vorenthalten… Auch nicht meine Zweifel.“
Sollte sie das wirklich? Ihrem Vater schreiben, dass sie am liebsten gestorben wäre, als Antain sie dem Fürsten vorstellte? Das wollte er sicherlich nicht hören… Eine Weißblatt, die Angst zeigt.
„Gehe aufrecht, zeige Stärke, stelle dich hoch erhobenen Hauptes; denn du bist meine Tochter, und meine Tochter ist würdig, eine Weißblatt zu sein!“
Jahrelang hatte er ihr diese Worte eingeprägt, immer und immer wieder. Najisa versuchte stetig, sie zu beherzigen, doch war alles schwieriger, wie ihr Vater es immer gesagt hatte. In Minas Tirith war alles anders, geordneter, beständiger; doch hier im Breeland schien es eine ganz andere, eigene Welt zu geben als diese, die sie ihr ganzes Leben lang kannte. Kein Archiv, in dem sie sich zurückziehen konnte, wenn sie niemanden sehen wollte; kein Vater, keine Mutter, die ihr des Abends tröstend zur Seite standen, wenn sie weinend nach Hause kam; keine sicheren Mauern der Stadt, die ihr seit ihrer Geburt eine sichere Festung, ein zu Hause war. Diese Welt gab es nicht mehr. Der Dienst im Namen des Truchsess war alles andere als einfach gewesen. Ein herrischer, launischer Mann; oft blieb ihr das Herz stehen, wäre sie lieber weggelaufen, wenn er schreiend nach einem seiner Schreiberlinge verlangte.
Beherzt griff Najisa zur Feder. Vater hatte das Recht zu wissen, was sie bisher erreicht hatte. Vater sollte wissen, dass sie nun im Dienste eines anderen Herren ist, damit er voller Stolz auf sie blicken konnte.
Lieber Vater,
schlussendlich bin ich nun auf Anraten Antain’s in Schlucht angekommen. Ich schrieb dir bereits in meinem letzten Brief, dass dort dieser Tage ein Fürst gastiert, bei dem ich mich vorstellig machen sollte. Schlucht ist ein kleines Dorf, im Vergleich zu Bree schon beinahe winzig. Es gibt eine Taverne hier, in der ich ein kleines Zimmer eingemietet habe. Vater, es ist zwar nicht wie zu Hause, aber die Zimmer sind halbwegs sauber, nur wenige Ratten habe ich bisher gesehen. Die Wirtin, Lisbett Honigwein, war so nett, mir mein Essen auf das Zimmer zu bringen; sie gibt sich alle Mühe, es mir so bequem wie möglich zu machen.
Der Fürst, bei dem ich mich vorgestellt habe, hat mich in seine Dienste als Schriftführerin aufgenommen. Er war sehr nett zu mir, so wie alle anderen, die ich an diesem Abend noch kennenlernen durfte. Die Audienz bei ihm war nur von kurzer Dauer, dennoch nahm er mich freundlich auf und hiess mich willkommen. Ich hoffe, ich kann seinen Ansprüchen gerecht werden und ihm guter Dienste sein. Noch habe ich an diesem Abend nichts verrichten müssen, aber ich denke, morgen werde ich meine erste Aufgabe erhalten. Lieber Vater, ich freue mich, endlich eine Anstellung gefunden zu haben. Wenn ich mich etwas eingelebt habe, werde ich dir mehr über das schreiben, was ich bisher tun musste. Doch bedenke, dass ich nicht das preisgeben darf, was der Fürst mir aufträgt; ich werde ihm loyal sein wie damals dem Truchsess.
Ich habe an diesem Abend noch ein paar Andere aus dem Fürstenhaus kennengelernt. Von Antain schrieb ich dir ja bereits. Unten in der Schänke habe ich eine gewisse Mynerya Kaldenberg getroffen, ihres Zeichens Magd im Dienste der Baroness. Eine wirklich sehr nette Frau, wir gingen etwas spazieren und unterhielten uns angenehm über die Dinge, die dieses Haus betrafen. Sie meinte, wenn ich etwas wissen wolle, könnte ich jederzeit zu ihr kommen, sofern sie ihre Arbeit bei der Baroness nicht einspannen würde. Vielleicht habe ich jetzt schon jemanden gefunden, an den ich mich wenden kann, wenn ich nicht so recht weiss, wie ich mich verhalten soll.
Später am Abend, als wir zum Gasthaus zurückgingen, stellte mir Mynerya einen Mann vor, Elmion Cardaan, die Wache der Baroness. Stell dir vor Vater, er ist mit Antain liiert, aber sie sind nicht verheiratet! Dennoch ist er ebenfalls sehr nett zu mir gewesen, höflich und zuvorkommend. Zudem stand noch jemand bei uns, den sie den „schweigsamen Namenlosen“ nannten. Ein Söldner, wie man mir sagte, der seinen Namen verlor. Mehr vermag ich nicht über ihn zu sagen; scheinbar wissen Mynerya und Elmion selbst nicht viel über diesen Mann.
Vater, ich werde dir bald wieder schreiben, wenn ein paar Tage vergangen sind. Noch kenne ich niemanden sonst oder kann dir zutragen, was bisher geschah. Ich hoffe, dir und Mutter geht es gut und ihr macht euch keine Sorgen um mich.
In aller Liebe,
Najisa
Das sollte genügen. Najisa steckte die Feder wieder in das Tintenfass, zufrieden auf die Worte blickend, die ihren Vater alsbald erreichen sollten. Und doch… Ihr war Bange ums Herz ob der ganzen neuen Gesichter, die sie an diesem Abend nach und nach kennengelernt hatte. Ein mulmiges Gefühl umschlich sie immer noch, wenn sie sich an das Klirren der kaputten Flasche erinnerte, die ein gewisser Kashin an die Wand hinter der Theke warf; an die knappen Worte des Namenlosen, der zuvor schweigend bei ihnen gestanden hatte; an den Zorn in den Augen Elmion’s, als er und Mynerya sich über die Stadtwache unterhielten; an das Krachen der Tür und den irren Blick Antain’s, als sie zu später Stunde noch zum Flechter zurückkehrte; an das Geschrei, an die Wut…
„Es ist alles nur fremd, ich gewöhne mich schon daran…“
Das Mädchen beugte sich über die Kerze. Ein kleiner Hauch, und schon senkte sich die Dunkelheit über das Zimmer. Morgen ist ein neuer Tag…
ooc: Abermals – ein ganz herzliches Willkommen! Sehr, sehr schön zu lesen! Ich freue mich darauf, „Najisa“ auch im Spiel einmal kennenzulernen. *winkt*
Bevor ich vergesse zu fragen: Hast du morgen Abend Zeit? Weil wegen – eine Protokollführerin wäre bei dem diplomatischen Treffen natürlich gar nicht schlecht dabei zu haben. 😉
hey, super geschrieben!! ich weiß schon marum ich naji mag 😀 – weiter so ich freue mich auf mehr und die anderen bestimmt auch! NICHT WAHR?!
Super geschrieben Naji… war sehr schön zu lesen und ich freu mich auch auf mehr 🙂 immer mehr vom Meer sehn oder wie war dass? xD
@Alejandro: kann ich leider nicht 100% sagen, ob ich kann, ich gebe aber heute Abend nochmal bescheid!
Achja, und danke an die anderen 😀 *verneig*