Lend elei

Gwaethil Eglainion
13. Mai 2011 • Kommentare: 3

Unsere Zeit geht zu Ende. Auf grauen Pfaden gehen wir ihm entgegen unter schwindenden Bäumen. Was bleibt ist Vergessen. Dies nun ist auch Dein Schicksal, Erbe des Eidschwures. Du spürtest es in der uralten Bosheit, die Dich verwundet hat. Diese Wunde wird Dich töten. Das weißt Du. Komm nun.
***
Es ist noch niemals laut gewesen in dem kleinen Haus am Wasser, von dessen ungewöhnlichen Bewohnern nur wenige wissen. Nun aber, da das Land von Neuem erblüht und der Bewuchs dichter wird, dringt kein einziges Geräusch mehr aus den Fenstern.
Lange Zeit liegt Tirn Eglainion nun schon im Schlaf. Seine Hüterin ist die hochgeborene Annamel O Imladris.
Zu den wenigen, die um die Bewohner des Hauses wissen, gehört Medicus Flusswieser. Er stattet dem Haus von Zeit zu Zeit einen Besuch ab, auch wenn er weiß, daß seine hohe Kunst bereits geheilt hat, was verletzt war. Die Wunden am Hals des Tirn sind zu Narben verheilt. Die Krankheit ist verschwunden.
Und obwohl es nichts gibt, was er tun kann, kommt er dennoch zum Haus am See, bleibt einen Augenblick und geht dann.
Allein bleibt Annamel.
***
Lange ist es her, da Du das Meer gesehen hast. Ich weiß, daß Du es vermisst. Komm mit mir zu den Stränden. Ich will Dir etwas zeigen.
Ich erkenne, daß Du es bereits von hier aus sehen kannst. Sie besteigen dort die Schiffe. Und dort, weit am Horizont, wo der lange Traum beginnt, dort kannst Du die grauen Segel sehen. Willst Du mit mir zu den Häfen gehen?
Das dachte ich mir, Bruder.
***
Cinlir selbst erscheint manches mal. Und wie so oft wissen weder er noch Annamel, was sie dann sagen sollen. Sie hat keine Antworten für ihn. Und er stellt keine Fragen, deren Antworten er kennt. Er hat eigentlich keinen Grund zu kommen. Dennoch kommt er und schweigt, bis er schließlich geht.
Allein bleibt Annamel.
***
Es ist, als wären wir beide niemals getrennt gewesen, kleiner Bruder. Laufe schnell und erkunde die Schiffe. Ich werde über Dich wachen. Ich versprach es in jener Nacht, da ich Deinen Namen zum ersten Mal hörte und vor Dir niederkniete.
Jetzt erinnerst Du Dich, daß wir beide schließlich vor ihr knieten. Als sie zum Sichelmond blickte und seinen Segen empfing.
Cúronil.
Willst Du sie sehen? Komm, ich bringe Dich zu ihr. Sie wartet auf Dich.
***
Eine dritte Besucherin erscheint. Die Mondin betritt das kleine Haus am See und wacht schweigend neben Annamel.
Die Tage, da sie viele Worte getauscht haben, liegen zurück und sind den bangen Nächten gewichen.
Sie geht nicht fort, und Annamel ist nicht mehr allein.
***
Du hast damit gerechnet, sie bei denen vorzufinden, die vor uns kamen und gingen. Weit im Traum. Doch Du, mein Bruder, bist der Träumer dieses Mal.
Sie hat wie Du dieses Land niemals verlassen.
Und jene dort, bei der sie sitzt und bangt, teilt ihr Schicksal. Sie verweilt. Sie tut es Deinetwegen. Sie tun es beide Deinetwegen.
Noch niemals hast Du Dein Wort gebrochen. Beginne nun nicht damit, auch wenn Du Dich nach dem Meere sehnst.
Du stehst an der Grenze.
Und nun lausche meinem Wort.
Ich überschritt diese Grenze vor langer Zeit, wie Du weißt. Ich kenne die Leichtigkeit, die das Loslassen und das Hinübergleiten versprechen. Und ich will Dich nicht belügen, kleiner Bruder. Alle Versprechen werden wahr.
Diese Wunde wird Dich töten. Das weißt Du. Doch es liegt an Dir zu entscheiden, wann sie Dein Leben fordert.
Doch zwei Dinge musst Du noch wissen:
Diese beiden dort leben. Und auch Du lebst noch.
Und wir, die wir die Grenze bereits überschritten haben, vergeben Euch das Leben. Wir neiden und verbieten es Euch nicht.
Entscheide Dich nun, Bruder.
***
Annamel und Cúronil heben die Köpfe, als sie den leisen Gesang erklingen hören. Die Kerzen flackern und erlöschen. Und als sie sich umblicken, da erscheint es ihnen, als würden die  Sänger um das Schlaflager des sterbenden Tirn herum verteilt stehen. Und weiter erscheint es ihnen, als würden sie das Salz des Meeres riechen und sein Rauschen hören. Und dann ziehen die Sänger einer nach dem anderen davon und verschwinden in der Nacht, bis einer noch übrig bleibt. Seine Stimme ist ebenso sanft wie die der anderen, doch gleichzeitig ist sie von einer kräftigen Tiefe. Er blickt den beiden Wächterinnen in die Augen. Und in den seinen ist eine heitere Gelassenheit zu sehen, als er sich abwendet und den anderen Sängern in die Schatten folgt.
So verschwindet Limcell Egalinion.
***
Annamel und Cúronil erwachen, als sie die Schritte auf dem Holzboden hören. Die Gestalt am Fenster wird vom Morgenlicht so stark beschienen, daß sie zuerst nur undeutliche Umrisse erkennen können. Dann, als sie sich zu ihnen umwendet, erkennen sie das sanfte Gesicht Gwaethils.
„Ich habe mich entschieden.“, hört man nun die Stimme des Tirn, als sie im kleinen Haus am See erklingt.

  1. Giselher sagt:

    Hach, das ist wieder so elbisch! Ich kriege da immer Gänsehaut *schwärm*

  2. Cinlir Winthallan sagt:

    Ich kriegte vor allem erstmal einen riesigen Schreck! *keuch* Willkommen unter den Lebenden, Erstgeborener. 😀

  3. Sybell sagt:

    Ich kann nur sagen: 🙂

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