Das Geräusch der Hufe durchbrach die Stille der Nacht.
Aran, dessen Gesicht im Schatten des breitkrempigen Hutes verborgen lag, presste seinen Körper dicht an den Rücken des Pferdes, um dem Gegenwind so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Mit der rechten Hand hielt er die Zügel. Mit der Linken drückte er den Hut auf den Kopf. Das Schwert zu ziehen hatte ohnehin keinen Zweck. Seine Verfolger waren in der Überzahl.
Er hatte bisher vier gezählt. Ihre identische Kleidung hatte etwas bewundernswert militärisches. Ihre Bewegungen waren zudem aufeinander abgestimmt. Er kannte solche Bewegungen. Sie waren Teil eines gut geübten Manövers. Sie waren beritten wie er, und ihre Absichten waren eindeutig.
Er wendete den Kopf wieder nach vorn. Gerade noch rechtzeitig, um die beiden kleineren Gestalten zu sehen, die aus dem Unterholz sprangen. Die eine – scheinbar eine Frau – warf der anderen – von der Größe her ein Kind – das Ende eines Seils zu. Als die anderes es gefangen hatte, rannten die beiden auf ihn zu.
Natürlich! Treiber und Fänger. Damit hätte er rechnen müssen.
Er versuchte vergeblich, sich unter dem Seil hindurch zu ducken. Es traf ihn knapp unter dem Hals und zerrte ihn hart vom Rücken des Pferdes.
Sich aufzurichten war sinnlos. Die Schritte der Fänger kamen schnell herbei, und die Hufschritte der Berittenen, das Knarren der Lederriemen und das feine Klirren der Rüstungen wurde lauter. Also blieb er einfach auf dem Rücken liegen.
„Bindet seine Hände und durchsucht ihn.“, befahl eine klare Stimme. Aran erkannte sofort den feinen gondorischen Zungenschlag bei diesem Mann.
Er lies sich auf den Bauch drehen, unternahm nichts, als sie seine Taschen durchsuchten und lies sich schließlich auch die Klinge abnehmen ohne jede Gegenwehr.
„Lassen wir ihn hier?“, fragte die kindsgroße Gestalt, und Aran erkannte die Stimme eines ausgewachsenen Mannes.
„Wir könnten ihm auch die Kehle durchschneiden.“, sagte einer der Reiter.
Derjenige, der mit dem südlichen Akzent gesprochen hatte, trat nun nahe an Aran heran. Sein Gesicht war ebenso unter einem Krempenhut verborgen wie es bei Aran selbst eben noch gewesen war.
„Was sollen wir mit Euch tun? Ihr habt wacker mitgespielt, habt keine Gegenwehr gezeigt. Und gleichzeitig habt Ihr nicht gebettelt oder gewimmert. Mir scheint, Ihr seid schon häufiger Opfer eines Überfalles geworden, was?“, sagte der Mann mit Belustigung in der Stimme.
„Seht, Landsmann…“, sagte Aran und wartete ab, ob sein Gegenüber irgendwie reagierte, was nicht der Fall war, „Ich bin ein Mann, der nur dann in unsichere Gegenden reist, wenn er sich seines Weges sicher ist. Und ich weiß etwas anzubieten, das Euch davon überzeugen wird, mich nicht nur gehen zu lassen. Ihr werdet mir sogar mein Schwert und das Pferd zurück geben.“
Der Mann mit dem südlichen Akzent legte den Kopf schief. Aber Aran konnte ihn leise lachen hören.
„Jetzt habt Ihr mein Interesse.“ Er erhob sich. „Lasst seine Hände gebunden. Legt ihn auf sein Pferd. Wir nehmen ihn mit.“ Dann wandt er sich noch einmal an Aran und sagte leiser: „Wir wollen sehen, ob Ihr auch das Interesse unseres Hauptmannes erringt.“
Zwei Tage zuvor…
„Ich kann Euch nicht sagen, wer diese Leute sind. Doch sie sind neu. Die Straßen werden wieder unsicherer als vorher.“
Aran legte eine weitere Münze auf den Tisch des Schwätzers. Der lächelte und nahm sie gierig an sich.
„Man erzählt sich vieles über sie.“, fuhr der Mann fort, „Die meisten glauben, es seien nur Räuber, die einen klugen Kopf haben. Andere sagen, es handele sich um ausgebildete Soldaten, die ihren Herren verraten haben und nun verflucht sind. Und wieder andere sagen, es seien Geister, die sich die Gestalt von Menschen geben und nicht zu fangen sind.“
Aran setzte sein besorgtes Gesicht auf.
„Ihr gruselt mich, Herr.“, sagte er, „Lasst mich Euch und mir rasch ein neues Bier besorgen und die düsteren Gedanken wegspülen.“
Mit diesen Worten – und unter begeistertem Nicken des Schwätzers – erhob er sich und ging zum Wirt.
„Heda! Gebt mir zwei Biere. Und ich habe eine Frage. Was würde es mich kosten, mein Pferd und meine Besitztümer hier für einige Zeit unterzustellen? Und wo bekommen ich in dieser Gegend ein neues Pferd und eine andere Waffe her? Beide müssen nicht von guter Qualität sein. Doch ich zahle dafür, als wären sie es.“
Der Wirt versuchte nicht einmal, sein Interesse zu verbergen.
Drei Tage später…
Natürlich hatten sie ihn wie einen Gefangenen behandelt. Sie hatten ihm eine schmale Mahlzeit gegeben. Und dann war der Hauptmann zu ihm gekommen. Kein Mann aus Gondor, das hatte Aran aus seiner Art zu sprechen heraushören können. Aber die Härte und die Entschlossenheit in den Augen des Mannes hatten ihn beeindruckt. Keine Frage.
Und natürlich hatten sie ihm weder das Schwert noch das Pferd zurückgegeben, als sie ihn schließlich hatten laufen lassen. Aber das war natürlich von Anfang an klar gewesen.
Er legte den Weg zur Herberge also zu Fuß zurück. Bald würde er wieder auf Alagos‘ Rücken sitzen. Dieses Tier an die Räuber zu verlieren, die einzuschätzen er gekommen war, hätte ihm tatsächlich wehgetan.
Nun wurde es Zeit, den Besuch bei Atherton anzugehen. Und wie es sich für einen guten Besucher gehörte, würde er nicht ohne ein Begrüßungsgeschenk kommen.
Er rieb sich die noch immer schmerzende Stelle unterhalb des Halses, wo das Seil ihn hart getroffen hatte. Und er musste sich eingestehen, daß das wohl die Schwachstelle in seinem Plan gewesen war.
Der Rest hatte sich zu seiner Zufriedenheit gefügt.
Aran lächelte. Nur kurz. Dann wurde er der langen Straße gewahr, die er heute noch zu gehen hatte. Er atmete einmal tief durch und ging in die Nacht.
Uh oh…ah! Geschenke! Hoffentlich auch für die Hauseigentümerin *g*
Hrmpf. Es wird einfach nicht besser mit Athertons und seinen Freunden! 🙂