The Winthallans 4.9 – Broken Man

Cinlir Winthallan
26. Juli 2011 • Kommentare: 2

The bravest thing you can do when you are not brave is to profess courage and act accordingly.

– Corra Harris

Je länger er über diesen verteufelten Abend nachdachte, desto mehr sah sich Cinlir Winthallan gezwungen seinem jüngeren Bruder Nanndir Recht zu geben: Er, Fürst und Herzog und noch Stadtrat einer Stadt die er hasste, hatte an nur einem Tag Torheiten begangen, die er sonst in fünf Jahren nicht begangen hätte. Und warum? Weil die Heimat lockte und ihn dieser Ruf hatte unvorsichtig werden lassen. Er zahlte dafür mit Bettruhe, die, jedenfalls seitdem Cinlir Giselhers vorwurfsvollen Blick gesehen hatte, sogar eingehalten wurde.

An jenem Tag hatte er also zu einem Fest geladen. Ein Fest die eigene Abreise zu feiern. Ein Fest für die Heimat, die man endlich wieder sehen würde. Aber auch ein Fest für all jene, die man hinter sich lassen wollte oder musste.

Bereits zu Beginn des Festes hatte sich ihm ein Waldläufer vorgestellt. Der Mann hatte noch während der Begrüßung um ein Gespräch gebeten. Cinlir hatte zugestimmt. Warum auch nicht. Eine letzte milde Tat ehe man dieses Land hinter sich ließ. Und die Frage und Bitte des Mannes war einfach genug gewesen. Er erkundigte sich, ob das verlorene Königreich nun zurückgenommen würde. Für Cinlir selbst war es nur bedingt von Interesse, hatte doch Haus Valdoran aus seiner Sicht weit ältere Ansprüche. Was nicht hieß, dass es nicht lohnend wäre Ailis mit einem Sohn dieses Hauses zu verheiraten. Oder, sofern man dort eine Tochter hervorbrachte, eben mit Theron. Für den Moment jedoch gab es nicht sonderlich viel das Cinlir für den Mann tun konnte. Er hatte keine Männer, die er zurücklassen konnte. Also tat er das einzige, was blieb: Er gab Faeryllian den Befehl nach einer Inventur die Hälfte an Waffen und Rüstungen zurückzulassen, damit der Waldläufer alle, die für diese Sache gewonnen werden konnten, wenigstens ausrüsten und hoffentlich ausbilden konnte. Beiden Männern, das hatte der Herzog in den Augen des anderen gesehen, wussten, dass diese Lösung alles andere als optimal war. Dennoch war es die einzige, die Cinlir zu bieten hatte. In einigen Monaten mochte sich dies ändern… Auch sicherte er zu Raben voraus nach Gondor zu schicken, vor allem zu Fürstin Linbeth. Sie würde wissen wie der Plan des neuen, alten Königs wäre. Zumindest war sie eine der Personen, die es am wahrscheinlichsten wussten. Es war kein gutes Gefühl so viele Schwerter, auch ohne Hände die sie führten, zurückzulassen. Pflicht war dennoch Pflicht.

Ein zweiter Fremder war an ihn heran getreten. Er hatte darum gebeten die Reise zurück in die Heimat antreten zu dürfen. Cinlir hatte Mon und Flusswieser aufgetragen sich des Mannes anzunehmen und ihn zu werten. Beide hatten dies getan und sich für ihn ausgesprochen. Später stellte sich sogar heraus, dass er ein fähiger Heilkundiger war. Wegen der anderen Entscheidung, die Cinlir an diesem Abend getroffen hatte, konnte eine solche Hand nur gebraucht werden. Töricht sie abzulehnen, auch wenn er ein Fremder war.

Sogar die Frau des Hauptmannes der Stadtwache hatte sich blicken lassen. Ein Umstand, der Cinlir milde erstaunt hatte, auch wenn er von ihr wenig gesehen oder gehört hatte – jedenfalls bis tief in die Nacht, als ausgerechnet diese Frau mit seinen Männern losgezogen war um ihn aus den Händen von Strauchdieben zu befreien. Ihn! Den man wie einen dummen Jungen der sich allein zu weit in den Wald gewagt hatte von hinten mit einem Axtknauf kampflos niedergestreckt und mitgenommen hatte. Er fragte sich, ob Derya etwas damit zu tun hatte, dass man überhaupt nach ihm gesucht hatte. Ihm selbst wäre es lieber gewesen man hätte es gelassen.

Und warum? Weil er ohne Wache unterwegs gewesen war. Das nichtmal weil er es befohlen hatte, sondern weil Faeryllian im Kampf gegen den Ork immerhin bettlägerig geprügelt wurde. Und Meroun? Meroun musste sich irgendwo in der Küche herumgetrieben haben, so hatte er später erfahren. Sein Kämmerer weit und breit nicht zu sehen. Aber er hatte Luft gebraucht. Viel Luft. Später, nach der Befreiung, hatte Taramer die Wache übernommen und damit seine eigentliche Freizeit geopfert. Zugegeben, Cinlir hätte wenig anderes von ihm erwartet. Dennoch erfüllte es ihn mit einer gewissen Art von Stolz wie schnell der Mann seine Pflicht aufgenommen hatte und schlicht seinen Dienst getan.

Das Haus der Lichter hatte ebenfalls durch Anwesenheit geglänzt. Breoth Barlend und Hylea hatten noch eine Frau mitgebracht, die ihrerseits schon seit Jahren dort arbeitete. Cinlir hatte dann und wann von ihr gehört, sie sogar einige Male gesehen – nie aber wirklich ein Wort mit ihr gewechselt. Und auch an diesem Abend bot sich wenig Gelegenheit dies zu ändern. Ein Umstand, den er bedauerte, schon allein weil sich eine erneute Gelegenheit sehr lange nicht bieten würde.

Mit Barlend selbst hatte er später gesprochen. Der Mann hatte Komplimente gesäuselt über Cinlirs politischen Fähigkeiten und Ambitionen. Der Fürst wiederum hatte kaum etwas davon geglaubt, entsann er sich doch zu gern der Tatsache Herzog zu sein. Wenig hatte er geahnt wie sehr sich Breoth noch an diesem Abend in ihm täuschen würde. Und sogar das hatte er bedauert – einen Mann enttäuscht zu haben, der seinen Rang nicht teilte. Schon gar nicht seinen Namen. Eines jedoch hatte er für ihn tun können, auch wenn es nur etwas war, das sich so oder so anbot. Er hatte Carlyle nahegelegt den Mann in den Stadtrat aufzunehmen. Ihn und Rogonn Kupferberg. Erstaunlich genug wie empfänglich Carlyle für diese Ideen war.

Hylea wiederum, so hatte er entschieden, sollte im Breeland verweilen. Ein Umstand, der bitter für ihn schmeckte. Ihre Gesellschaft war in vielerlei Hinsicht etwas, das ihm in Gondor fehlen würde. Bewiesen hatte sie das erneut als sie für ihn sang während er, gebrochen, auf ein Lager gedrückt wurde um den elenden Bruch seines Beines nicht noch mehr zu verschlimmern. Ihre Worte er solle nicht vergessen wer er sei waren das einzige gewesen, was ihn davon abgehalten hatte laut aufzuschreien als der Hekim die Knochensplitter aus seinem Bein gezogen hatte. So war es also Hylea gewesen, die den Ruf des Hauses Winthallans zumindest ein wenig gehütet hatte… Es war nicht überraschend gewesen von ihr zu hören, dass auch sie mit Carlyle gesprochen hatte. Das erklärte wohl auch dessen Bereitschaft seine Worte anzunehmen.

Der Richter hatte so oder so wenig Widerstand gegen irgendetwas gegeben, das Cinlir an diesem Abend zu sagen hatte. Was verwunderlich war. Eigentlich hatte er fest damit gerechnet, dass der Mann nun Narreteien wie öffentliche Wahlen vorschlagen würde. In denen jeder Bürger eine Stimme hätte. Am Besten gleich noch die Verbrecher mit dazu. Aber mit Kupferberg und Barlend zusammen sollte auch Carlyle die Stadt auf der richtigen Bahn halten können, egal wie sehr sich der Mann in seinen Paragraphen verstrickte.

Dabei hatte er keine Zweifel, dass Rogonn Kupferberg zwar auf der einen Seite glänzte, es auf der anderen Seite seiner Medaille keineswegs tat. Wäre die Sache nicht so störend gewesen, hätte er Parallelen zu dem ersten Salas hergestellt. Nur wirkte Kupferberg wenigstens sympathischer als das, was er aus den Zeilen des Tagebuchs eines Toten herauslesen könnte. Ob der Mann den Abend schlussendlich genossen hatte vermochte er nicht zu sagen. Immerhin war er bis zum Ende geblieben, egal wie viele Familienmitglieder deren Anwesenheit er nicht schätze auftauchen mochten.

Wie sich herausstellte waren das gar nicht so wenige: Finh Rattner hatte sich blicken lassen. Auch wenn man ihn am Ende zusammen mit dieser Ariannah des Grundstücks zu verweisen hatte. Ein kleiner Teil Cinlirs war gekränkt gewesen, weil der Mann Fianah Lebewohl gesagt hätte – nicht aber ihm. Mehr noch hatte ihn aber die Anwesenheit der Frau gestört, die ihm bis zu diesem Tag den Tod eines – tja, was eigentlich? – nicht vergeben hatte. Und überhaupt. In welchem Verwandtschaftsverhältnis sie nun zu Kupferberg stand hatte er noch immer nicht durchdringen. Mit dieser Sophya war das leichter gewesen. Von ihr hatte er allerdings wenig mehr als ein Lächeln gesehen.

Nur mit Nikos hatte er etwas mehr sprechen können. Der Mann schien fortwährend zu lächeln. Außer natürlich wenn man einen Ork tötete. Ein Spektakel dieser Art war wohl nicht nach dem Geschmack des schauspielernden Kupferbergs. Wenig nachvollziehbar für einen Winthallan. Ein Ork war ein Ork und verdiente eben nur ein mögliches Ende. Es gar nur dieses eine. Kupferberg blickte dennoch so trübselig drein, als hätte man ein Dutzend Merouns erschlagen. Er sagte, es wäre aus Sorge um Drakon Meroun gewesen. Verstehen konnte Cinlir es dennoch nicht.

Ein Lichtblick des Abends waren Cutting und Moury gewesen. Er hatte sich gerade damit abgefunden sich die meiste Zeit zu Tode zu langweilen und keine echten Mitgenießet für tote Orks zu finden als die beiden in den Raum geplatzt und gewohnt lautstark ihre Anwesenheit in den Raum geblökt hatten. Sicher, er konnte längst nicht alles dulden was die beiden so von sich gaben. Aber wenn es ihm möglich war, dann tat er es. Der seltsame Humor der beiden ließ ihn zumindest zeitweise vergessen wie sehr er das Breeland verachtet hatte. Trotzdem waren es auch nicht ihre ablenkenden Worte auf die er seine Unachtsamkeit schieben konnte. Dabei hatte Moury noch so niedlich versucht Cutting regelmäßig zum Schweigen zu bringen. Diese wiederum ließ es sich aber nicht nehmen Izhkarioth wieder und wieder auf den Arm zu nehmen – ein Umstand, der Cinlir nur noch mehr amüsiert hatte.

Rian. Rian hatte ihn erstaunt in jener Nacht. Die meiste Zeit des Tages war er von der Tatsache entnervt gewesen, dass sein Kämmerer irgendwie ständig etwas besseres zu tun hatte als an seiner Seite zu sein. Dann und wann hatte er sich die Zeit genommen Izhkarioth mit der Nase darauf zu stoßen und seine Reaktion – dieses aasige Winden – zu genießen. Doch dann, später, war auch Rian unter denen gewesen, die nach ihm suchten. Gut, der Narr hatte doch tatsächlich angefangen mit diesen Männern zu verhandeln. Aber dennoch war auch er es gewesen, der Cinlir aufgeholfen hatte als das eigene gebrochene Bein ihn nicht mehr tragen wollte. Mit ihm zusammen war er nochmals zu Boden gegangen. Er hatte nicht damit gerechnet der Mann würde sich nochmal aufrappeln. Noch weniger damit, dass er ihn dann noch tragen würde. Aber Izhkarioth hatte ihn den ganzen Rückweg über gestützt. Und auch später, als sein eigener Rücken längst schmerzen musste wie sieben Höllen hatte er dennoch stets ohne auch nur ein Murren lebende Krücke gespielt. Zumindest das war ihm anzurechnen.

Ohne Sethur hätte er es nie zurück geschafft. Und ohne den Hekim vielleicht nicht sein Bein behalten. Sicher, Flusswieser war zugegen. Aber auch er war verletzt. Darüber hinaus auch Drakon Meroun, dessen Leben es zu retten galt. Blieb also nur einem Fremden Vertrauen zu schenken. Manches Mal hatte er gewünscht Jibril hätte sein Bein einfach abgesägt und ausgebrannt. Diese Gnade schien der Mann aber nicht zu kennen oder beflissentlich vergessen zu haben. Inzwischen dankte Cinlir es wohl. Vielleicht würde er wieder reiten können. Irgendwann. Bereits jetzt machte er sich Gedanken wie er seine Schwertübungen umstellen musste um weiterhin waffentauglich zu bleiben. Flusswieser würde nichts davon hören wollen.

Dieser verdammte Hinterhalt. Ein Händler der vorgab mit einer Karawane zu reisen, so hatte er an einen verdammten Baum gefesselt erfahren, war der Mann gewesen, den man als Spion verwendet hatte. Er war es auch, der ihn niedergestreckt hatte. Ob der Mann mit diesem Pichelstein und dessen Ork in Verbindung stand, das konnte Cinlir nur vermuten. Noch gefesselt hatte er dem Mann immer und immer wieder versucht klarzumachen, dass man nicht nach ihm suchen würde. Immerhin hatte er zwei Brüder und einen Sohn. Jemand konnte also leicht seine Stelle einnehmen. Wofür Männer riskieren um mit Strauchdieben zu verhandeln? Außerdem hatte er sich fangen lassen. Nahm man es genau, so hatte er ein Ende wie dieses verdient. Nur war das Schicksal dafür wohl nicht gnädig genug. Stattdessen lag er jetzt also in einem Bett und hatte sehr viel Zeit sich über falsche Politik und schlechte Entscheidungen Gedanken zu machen.

Später war Nanndir nicht müde geworden ihn darauf hinzuweisen wie schlecht genau das war, was Cinlir den Tag über getrieben hatte. Er hatte ihm Vorhaltungen gemacht er hätte sich verhalten wie ein zu stolzes Kind. Recht hatte er auch noch damit. Er hatte sich in den Glauben täuschen lassen der Krieg wäre nun völlig vorbei. Die Welt wäre friedlich. Und damit war er genau so naiv, wie er es für gewöhnlich Nanndir vorwarf zu sein. Nun war es ausgerechnet sein kleiner Bruder, der ihn zur Vernunft riet. Der dennoch aber ein Winthallan war und seinem Bruder eine vertraute Seele, sobald die Türen geschlossen waren und die Diener weit weg. Für letzteres war der Fürst endlos dankbar, auch wenn man ihm auch das zweite Bein hätte brechen müssen um das öffentlich zuzugeben.

Ob die Entscheidung Fianah ihre Freiheit zu lassen eine klügere war? Da war er sich längst nicht sicher. Hylea hatte den Vorschlag gemacht Fianah zurückzulassen, es nach außen als einen Befehl zu verkaufen. Und wenn man zurückkehrte, dann könnte sie sich erneut in den Eid begeben. In der Zwischenzeit musste niemand erfahren, dass die daraus entlassen war. Das ganze schmeckte bitter für ihn. Ein Verrat an seinem Haus und jedem Winthallan vor ihm, aus seiner Sicht zumindest. Und das Mädchen – nein, Frau inzwischen – war glücklich wie selten. Er konnte nur kurz darüber lächeln. Aber wie konnte sie auch ahnen was er dem Haus damit antat? Wie konnte das irgendjemand, der nicht damit aufgewachsen war? Jetzt, da er so dalag, fragte er sich, wie er das zulassen konnte. Warum hatte er noch gleich auf Hylea gehört? Warum nicht den Kopf des Mädchens noch am gleichen Abend genommen, als sie es in sich sah zu verkünden, dass sie ihm nicht folgen würde? Bree hatte ihn verändert. Bree hatte sie alle verändert.

Sogar eingefleischte Gondorer wie Faeryllian hatte es verändert. Noch vor dem Kampf mit dem Ork hatte es Wetten gegeben ob der Ork oder der Mann aus Gondor gewinnen würde. Aus Loyalität hatten einige dabei auf Faeryllian gesetzt. Cinlir hatte nicht dazu gehört. Er kannte Cenedor gut genug um dessen Schwäche zu kennen: Stolz. Und dieser Stolz hatte ihn auch den Sieg gegen diese Kreatur gekostet, wie auch den restlichen Abend. Unbestritten hatte er dennoch gut gekämpft und den ganzen Tag zuvor seine Pflicht gut ausgeübt, obwohl er eigentlich, wie alle anderen Gardisten auch, dienstfrei hatte. Weder Meroun noch Faeryllian hatten sich daran gehalten. Stolz vielleicht. Aber die treusten Seelen, die man sich wünschen konnte. Dafür lohnte es sich sehr wohl zu kämpfen.

Drakon Meroun hatte um den anderen Kampf gebeten und ihn erhalten. Ein Kampf, der ihn sehr wohl den Kopf hätte kosten können. Doch er gewann und küsste, halb zerschlagen, Cinlirs Ring als er ihm die Hand hinhielt. Meroun war es auch, der bei dem Rettungsversuch letztendlich vorgesprungen war, die Klingen der Gegner somit erstmal an sich band und dem Rest überhaupt ermöglichte ihn zu befreien. Blutend am Boden liegend war auch er es gewesen, der Cinlirs Fesseln zerschnitten hatte. Und er war es, der diese Nacht mit dem Leben bezahlt hatte…

Oder – hätte. Wo sich Cinlir noch Stunden zuvor wunderte, warum ein Elb seine Nähe suchen sollte, wenn Gwaethil Eglainion doch längst auf dem Weg nach Gondor war, zusammen mit Annamel. Sich über die Scharade des Elben geärgert hatte. Und am Ende diesem Elben das Leben eines seiner besten Männer verdankte. Wie auch seinen eigenen Stolz – und die gnädige Ohnmacht, die ihn später während der Behandlung empfangen hatte. Nicht zuletzt auch die Worte, die ihm schlussendlich die Kraft gaben sich von seinem Krankenlager wieder zu erheben. Stärke habe er gesehen, so sagte der Elb. Stärke in einem Mann, dem andere Männer bereitwillig in die Gefahr folgten. Er hatte es diesen Männern geschuldet gefälligst wieder aufzustehen, mochten die Knochen noch so sehr schmerzen. Seinetwegen auch noch mehr splittern. Der Elb hatte ihn erinnert, dass er zu stehen hatte. Für die anderen hatte er es dann auch getan.

Natürlich hatte Giselher diese Anstrengung wenig zu schätzen gewusst als er davon erfuhr. Wer konnte es ihm verdenken. Er konnte nicht wissen wie wichtig es war, dass ein Mann wie er auf seinen eigenen Beinen stand, sofern noch Luft in seinen Lungen war. Und er machte sich Sorgen. Immer so viele Sorgen… Umgekehrt wäre es wohl nicht anders gewesen. Giselhers Blick war es gewesen, der Cinlir letztendlich dazu bewogen hatte der Forderung seines Bruders und der seines anderen Bruders nachzukommen. Elender Breeländer! Elender Bauer! Elender Bruder! … Bessere Verfluchungen waren ihm vor lauter Rum nicht in den Kopf gekommen. Verdammt!

Durch all diesen Trubel war das Schreiben an den Stadtrat – und wohl sein letztes Schreiben als Stadtrat – längst vergessen. Sogar der Fehler des Archivars es ohne Cinlirs Siegel und seine Unterschrift an den Richter gegeben zu haben. Mon war, ganz wie immer, sehr still gewesen. Es war nicht schwer zu erraten weswegen, hätte sonst doch womöglich jemand sein Geheimnis erraten. Wie vielen seiner Gäste das an jenem Abend wohl gelungen war? Die Kupferbergs vielleicht. Das Haus der Lichter wusste sicher längst bescheid. Und sonst? Möglicherweise Fianah. So im Nachhinein fiel ihm auf wie wenig er darauf geachtet hatte ob Faeryllian und der Archivar sich wohl verstanden hatten. Und wenn ja, wie gut genau. Aber auf der Rückreise würde er jetzt ja genug Zeit für solche Beobachtungen haben…

Sein letzter Brief als Stadtrat. Und damit auch der letzte von Baumschneiders Berichten, den er zu lesen hatte. Irgendwie würde er den trockenen Humor des Stadtwachenhauptmanns vermissen, das war ihm jetzt schon klar. Leider war der Mann erst sehr spät am Abend erschienen. Weit nach diesem Vorfall. Und damit war Cinlir kaum in der Lage gewesen sich ordentlich von Nedward zu verabschieden. Ihm zu schreiben kam ihm in den Sinn. Auch das klang sinnvoll. Mit so viel Zeit zu seiner Verfügung.

Zumindest sobald man ihm gestattete sich überhaupt wieder aufrecht hinzusetzen. Bisher war die Reise so verlaufen, dass wann immer Cinlir sich überhaupt aufsetzte Telphor, Nanndirs Kämmerer der Izhkarioths Posten übernommen hatte, solange auch dieser gesund gepflegt wurde, ihm einen verächtlichen Blick zugeworfen hatte, ganz als hätte er einer hohen Dame schwungvoll vor das all zu zarte Schienbein getreten. Natürlich hatte der Mann kein kritisches Wort ihm gegenüber verlauten lassen. Nur hatte Cinlir so gar keine Zweifel, dass er haarklein jede Bewegung seinem Bruder berichten würde, der so oder so schon über ihn wachte wie eine Löwin über ihre Jungen. Die kleinste Anstrengung nahm man ihm übel.

Wenigstens verhungern würde er nicht. Zwar hatte er Iolanda zugestanden als Sybells Zofe arbeiten zu können, sobald diese sich die Frau angesehen hatte, jedoch ließ sie es sich dennoch nicht nehmen ihn (rattengiftfrei) zu verköstigen. Ein Umstand, den er bisher nicht zu bereuen hatte. Wahrscheinlich war das ihre Art Dankbarkeit für die neue Stelle auszudrücken. Offenbar hatte sie rechtzeitig spitzgekriegt, dass er für ihre Stickereien erstens wenig übrig haben würde, zweitens selbst schon verheiratet war und so ein Kunstwerk ja wohl bestenfalls für ihren zukünftigen Ehemann gedacht sein konnte. Nicht für ihn. Nur aufpassen musste er trotzdem, immerhin drohte er sonst zu deutlich an Gewicht zuzunehmen, während er da so lag.

Dies nicht zu tun erwies sich als gar nicht so leicht. Eine Händlerin hatte es leider auch auf die Einladung geschafft. Und sie handelte mit allerlei Leckereien, die gerade in seinem jetzigen Zustand viel zu verlockend waren: gebrannte Mandeln, Kichererbsen in fremden Gewürzen und – seine persönliche besondere Schwäche – Sesamkaramell. Und dann noch dieser Tee den sie zu brauen wohl ebenfalls Iolanda gezeigt haben musste. Auf dieser Reise war Cinlirs eigener Teekonsum damit zum ersten Mal über den seines ersten Ritters gestiegen, was so ziemlich jeden im Tross verwunderte, einschließlich des Fürsten selbst.

Wieder schweiften seine Gedanken ab… Pichelstein. Er hätte den Mann gleich am Anfang umbringen sollen! Nur hatte es dafür leider keinen all zu offensichtlichen Grund gegeben. Ausreichend unsympathisch war er gewesen. Aber als Grund dafür seinen Kopf zu fordern taugte das natürlich nicht. Auch sein erschlagener Ork schien den Hochmut des Mannes nicht sonderlich zu schmälern. Und seine Geschichten wie es zu diesem Vieh überhaupt kamen waren ebenfalls unglaubwürdig genug. Es wäre zweifelsfrei besser gewesen dem Waldläufer gleich seinen Bogen zu lassen und diesen arroganten Gelehrten niederzustrecken. Aber nein. Die Regeln der Gastfreundschaft ließen nichts dergleichen zu, solange Pichelstein keine ernsten Anstalten machte gegen den Gastgeber vorzugehen. Er hatte Cinlir nichtmal den Gefallen getan ihn oder seine Frau zu beleidigen. Das wäre ein Grund gewesen! Irgendwie hatte er darauf gewartet.

Die Gedanken drehten sich weiter… Verstörende Gäste hatte es ebenfalls gegeben. Der Sohn – oder war er ein Neffe gewesen? – eines Weinhändlers hatte es auf die Feier geschafft. Ein junger Bursche, der irgendwie so gar nichts von Wein zu verstehen schien. Dafür aber um so größeres Interesse an den anwesenden Damen aufwies. Und dann noch der alt und immer älter werdende Gestirn, aus dem Cinlir längst nicht mehr schlau wurde. Normalerweise wäre er davon ausgegangen, der Mann sei dauerhaft betrunken. Aber er war sich nicht sicher, ob er überhaupt trank. Wahrscheinlich nicht.

Unvermittelt hielt die Kutsche an und zerrte Cinlir so zurück in die Gegenwart. Die Tür öffnete sich und Bryanne kletterte zusammen mit Heridan herein. Skeptisch äugte er zu Bryanne. Flusswieser wiederum schien seinen Gedanken zu erahnen. „Wenn ich mich recht entsinne, Herr, dann gibt es hier nichts, was Lady Aldorn nicht bereits irgendwann einmal gesehen hat. Und ich brauche jemanden euch festzuhalten.“

Lady Aldorn. Die Frau, die kaum eine Träne vergossen hatte als es hieß, ihr Bruder sei gestorben. Was wohl der letzte Beweis war den Cinlir benötigte um sich daran zu erinnern, dass auch sie eine Klinge war. Durch und durch. Sie grinste ihn an und schlug seine Decke so weit zurück, dass das verletzte Bein frei lag. Jedenfalls als sie die Hose weit genug hochgekrämpelt hatte. „Immerhin muss ich euch diesmal nicht frei schneiden, Fürst.“, kommentierte sie mit einem schelmischen Grinsen.

Wie genau hatte es Flusswieser überhaupt hier hoch geschafft? Hatten seine Beine nicht auch genug abbekommen? Cinlir konnte sich nur verschwommen daran erinnern. Und nachzufragen erschien gerade irgendwie überflüssig. „Das wird jetzt ein wenig schmerzen, Herr.“, warnte Heridan vor.

Cinlir dachte an den Gesang schöner Frauen, an Hände, die beruhigend über sein Haar strichen. Dachte an all die Gesichter des Abends, der ihm dieses Bein beschert hatte. Dachte daran zu stehen. Dachte an seine Eltern, seine Kinder. An seine Frau. Und schwieg erfolgreich als Bryanne ihn fest auf das Reiselager drückte.

  1. Giselher sagt:

    Sehr schön und umfassend. Und ganz wichtig: Cinlir hat etwas getan, nur weil Giselher geguckt hat! 😀

  2. Fianah sagt:

    Hach…wäre es doch nur real gewesen…^^ Also zumindest was Fia betrifft. 😉

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