Den halben Tag habe ich gebraucht, um mir überhaupt klarzuwerden, wo ich am besten anfange zu berichten. Es wird schwer sein in Worte zu fassen. Aber das hier wird niemals irgendjemand lesen. Vielleicht verstehe in ein paar Monaten ich mich nichteinmal mehr selbst.
Anfangen sollte ich aber wohl mit der Zusammenkunft des Hauses. Den Themen, die besprochen wurden.
Zuerst erläuterte ich die Sachlage um Zarroc Angor. Besser, ich riss an, was es zu erklären galt. Habe versucht klarzumachen, dass ich mit diesem Mann stehen und fallen werde in dieser Angelegenheit. Die Worte meines Hauses lassen nichts anderes zu. Bleibt zu hoffen, dass sich Wintereiche dessen bewusst ist. Wie auch all dem, was seine eventuellen Urteile für Reaktionen hier und in der Heimat hervorrufen könnten. Schuldig oder nicht, mir bleibt keine Wahl. Für einen Moment hatte ich gestern sogar den Eindruck, Angor verstehe, was das bedeute. Aber genau vermag ich es nicht zu sagen.
Der nächste Punkt waren die Bemühungen Dronin Eichenfausts. Der Zwerg wirkt immer sehr ruhig, aber das ist nicht zu unterschätzen. Seine Axt und er sind Gegner, die ich lieber nicht gegen mich wüsste. Alle verfügbare Unterstützung für seine Unternehmen gen Moria wurden ihm zugesichert. Meinem Eindruck nach, weiß er das sehr zu schätzen. Später dann verabschiedete er sich und brach wieder auf in Richtung jener Minen. Ich hoffe, bald wieder von ihm zu hören. Von seinen Triumphen, tief drunten. Es mag seltsam sein, aber durch ihn spüre ich die Erfolge alter Schlachten erneut. Ein Gefühl, das hier, hier im Breeland, das nur den süßen Sommerfrieden kennt, so wichtig ist. Hier, da ein Mann in Waffen so gut wie tot ist.
Dennoch ist es unziemlich hier vom Tod zu sprechen. Meine Frau erwähnte ihn in ihrer Rede an den Haushalt. Sie sprach von Salas, seinem Tod – seinem zweiten Tod. Sprach von seinem Erbe. Eine Ehrenbekundung an die verbliebenen Mitglieder des Hauses. Und neuer Mut für jedes neue Gesicht. Ich gestehe, es war ihr Gedanke unser wahres Gesicht zu offenbaren. Aus meiner Sicht haben wir damit einen wichtigen strategischen Vorteil aufgegeben. Aber sie mag Recht haben. Vielleicht war es wichtig zu sagen, wie wir wirklich zueinander stehen. Doch wer von ihnen versteht schon die Politik Gondors? Wer von ihnen versteht die Notwendigkeit solcher Masken? Vor allem jetzt, da Sybell um so viel mehr gefährdet ist…
Auf Reianyas Noires Bericht warte ich noch. Aber der wird sicherlich bald kommen. Soweit mir bekannt ist, traf sie inzwischen den Grafen. Ich vermute, auch seine Frau. Demnach sollte die überfällige Trauerfeier bald abgehalten werden können. Ich erinnere mich, dass meine erste Aufforderung an sie war, sich mit den nötigen Umgangsformen auseinanderzusetzen. Soweit ich das beurteilen kann, tut sie ihr Bestes. Ich sehe bereits die Fortschritte. Dennoch bleibt mir ihr eigentlicher Glaube ein Rätsel. Es ist ihr allerdings anzurechnen, dass sie nicht versucht unter Zwang Missionarsarbeit diesbezüglich zu leisten. Sie betet für uns zu den Valar, behält aber ihre eigenen Ansichten. Damit kann ich vermutlich gut leben.
Von Ciros Frau kann ich nur wenig berichten. Ich bin überrascht, dass er selbst nicht zugegen war. Werde ihn bald schon wiedertreffen müssen. Und seine Frau… Auch sie wusste nicht, wo er sich aufhält, spricht ihrerseits nur in seltsamen Rätseln, wenn sie es denn tut. Später am Abend habe ich sie nicht mehr gesehen. Vermutlich fürchtet sie uns, die wir Fremdländer für sie sein müssen.
Während des Treffens unterbrach eine Frau, die mir später als Sveayen vorgestellt wurde. Sie ist angeheurt als Giselhers Stallmagd. Zwar fehlt es auch ihr an Umgangsformen, jedoch kann auch von ihr gesagt werden, sie gibt sich alle Mühe. Ich wies sie auf die möglichen Konsequenzen hin, sollte sie sich entscheiden längerfristig in seinen Diensten stehen. Sie versprach darüber nachzudenken. Ich sehe der Sache mit Spannung entgegen.
Auch Taraja war anwesend und sprach später noch gesondert vor. Sie informierte mich über ihre eigentliche Herkunft, welche ich so schlicht zur Kenntnis nahm, auch wenn mir der Name ihres Hauses nichts sagt. Ihre Kinder würde man fordern, obwohl man sie selbst längst des eigenen Blutes verstoßen hätte. Aber das sind die Entscheidungen einer Mutter. Die kann ich nicht für sie fällen. Es blieb mir also nur, ihr alle Unterstützung zuzusagen, denn auch hier gilt Blut für Blut. Es wird eine Eskorte zusammengestellt. Ihre Kinder werden sicher in Gondor ankommen. Für alles Weitere lässt sich nur beten. Ich beneide sie nicht für ihre Situation. Dennoch mag ich sie bald vielleicht ein wenig ablenken können.
Ein weiterer Eid wurde geleistet. Celebthalon, der Mann, der so unscheinbar um Anstellung bat, legte ihn ohne zu zögern und in aller Konsequenz ab. Die Worte, die er wählte waren tatsächlich noch umfassender als jeder Eid, den ich selbst verlangt hätte. Aber gerade deswegen konnte er unmöglich abgewiesen werden. So steht er nunmehr als Späher im Dienste des Hauses. Auch, wenn wir uns im Moment nicht von der Stelle bewegen.
Einen neuen Medicus galt es ebenfalls zu finden. Natürlich lag es nahe, Heridan Flußwieser einzusetzen, und so tat ich es auch. Der Mann bat noch vor wenigen Tagen um Schutz für eine seiner Kranken. Er half ihr, so hatte er es geschildert. Und wieder stellt sich das Haus für eine Unbekannte. Soll es so sein. Wenn dieser Schutz zu viel Zeit benasprucht, wird auch ihr keine Wahl bleiben. Und mir keine, außer zu fordern, was dann unser zu sein hat. Die besseren Nachrichten aus seiner Richtung jedoch war das Untersuchungsergebnis an meiner Frau. Die Valar sind gnädig… Ich hätte sie viel zügiger zu ihm schicken müssen. Es wird darauf zu achten sein, dass er seine Arbeit gut macht. Denn sollte jetzt noch etwas schief gehen…
Als Sybell die Treppe hoch stürmte um davon zu berichten, strahlte sie wie zwei Sonnen. Ich brach umgehend auf um Giselher zu uns zu zitieren. Der Mann muss gedacht haben, ich wolle ihm an den Kragen. Ich habe sie noch nie so lächeln gesehen… Aldorn und ich schließlich tranken auf die Zukunft, die Vergangenheit – und hätten wohl auf so ziemlich alles außer Mordor selbst getrunken in dieser Stunde. Dieses gebrannte Zeug macht einen halb blind. Scharf in der Kehle. Aber das is gut! Wieder ein Moment, in dem man lebendig ist.
Hier hätte der Abend enden können. Hier hätte er enden sollen. Und nur auf diesem Papier wage ich zu schreiben, was ich niemandem sagen darf, auch nicht meiner geliebten Frau, wofür sie mir vergeben mag, wenn wir nicht mehr sind.
Cinlir Winthallan, ein Narr, der nicht weiß, wie man aufhört Herzog zu sein und beginnt ein Mann zu sein. Als Sybell auf die Hebamme zu sprechen kam, tat ich das, was ich gewohnt bin zu tun: Ich antwortete in der Präzision, die es auf dem Schlachtfeld erfordern würde. Was nutzt der Trug um die Wünsche, die man gern erfüllt hätte, wenn die Realität eine andere ist? Natürlich verdient sie zweifelsfrei die beste Hebamme. Aber die beste ist eben nicht unbedingt auch die Frau, die hier verfügbar ist. Mit dieser Wahrheit schnitt ich sie tief, ohne es zu wissen oder zu wollen.
Sie bat Giselher um Geleit zu unserem Haus. Natürlich übernahm ich das selbst, kein Grund ihn unnötig in diese Sache hineinzuziehen. Hätte ich nur erahnt… Noch auf dem Weg erklärte sie mir, es wäre kalt von mir gewesen das zu sagen. Lieblos. Zumindest habe es so gewirkt. Kalt und lieblos… Sie trägt meinen Erben, meinen Stolz, meine Liebe. Wie könnte ich weniger sein, als glücklich? Weniger als stolz? Weniger als besorgt um ihr Wohl?
Mordor hole die verdammte Erziehung Winthallans, Ost Agars… Ich weiß nicht, wie ich anders hätte reagieren sollen. Besser, ich reagierte, bevor ich es wusste. Reagierte, wie man es in meiner Familie getan hätte. Wir sind ein starkes Haus. Ein strenges Haus. Jeder Muskel, egal ob in Körper, Geist, Seele oder Herz ist stark. Denn die Schwäche wird nicht tolleriert. Und eine Herausforderung ist immer dazu da, gemeistert zu werden. Ein Konflikt wird gewonnen, nicht gelöst. Einen anderen Weg kennt mein Name nicht. Für diesen Weg haben Generationen in Blut gezahlt.
In diesem Moment reagierte sie für mich wie ein schmollendes Kind. Und ein Kind hätte man unter Zimmerarrest gestellt. Was ich tat, egal wie sehr es mir das Herz brach. Und auch das tat es. Ich stand über Stunden vor ihrer Tür und hielt Wache, als wäre ich nichts anderes als ein einfacher Gardist dieses Hauses. Am Ende dann bat sie die Tür zu öffnen, sagte, sie habe verstanden.
Wie sehr ich mich getäuscht hatte. Wie falsch meine Mittel eingeschätzt. Die Tür ging auf und sie sagte, sie wolle das Kind bei ihrer Mutter zur Welt bringen. Sie würde nach Gondor zurückkehren. Fürst und Herzog meines Hauses, aber unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Sie bitten zu bleiben? Ich wünschte, bei den Valar, diese Gabe wäre mir gegeben. Aber ein Mann in meiner Position darf nicht bitten. Niemanden und um nichts. Ausgerechnet bei meiner Frau verschlucke ich mich an diesem Haken.
Wie lange ich dann da lag, das weiß ich nicht. Auch an Giselhers genaue Worte erinnere ich mich nicht. Ich musste über keine der Antworten, die ich ihm oder später Sybell gab, nachdenken. Sie waren ehrlich, direkt und kamen rein aus Reflex. Ganz wie ich es im Feld verstanden hätte mein Schwert zu ziehen und zu nutzen. Vor der Frage, zu was für einer Art Mann mich das macht, scheue ich zurück. Wieder nur hier. Denn nichts hiervon darf erfahren werden.
Wie es dazu kam, dass die Situation gelöst wurde, vermag ich nicht mehr zu sagen. Welche Worte gewechselt wurden, welche Gesten getauscht… All das verschwindet in einem Nebel, den ich nur noch in Teilen zu durchdringen vermag.
Allerdings weiß ich sehr wohl was ich Giselher Aldorn schulde. Und was uns verbindet. Ein Bruder kann er für mich nicht sein, denn ich habe keine Schwester, die ich an ihn geben kann. Angenommen er würde sie nehmen. Aber ein Bruder ist er dennoch, für mich. In kurzer Zeit mehr als ein Freund. Freund, obwohl ich nie welche hatte.
Mit drei Gefallen entlohne ich ihn. So klein oder gross, wie er sie wünscht. Einzulösen, wann immer er es für richtig hält. Ohne zu hinterfragen. Ohne Einspruch. Wie ich ihn kenne, wird er Leben damit retten. Wahrscheinlich das meine öfter, als es mir lieb ist.
Und Sybell? Was von ihr verlangt wird ist weit mehr, als einfach nur dieses Kind zur Welt zu bringen. Während ich der Kopf dieses Hauses zu sein habe und nicht weiß, wie man es nicht ist, wird ihr eine Größe abverlangt, die nichts geringeres ist als übermenschlich. Wie soll sie einem Gatten eine gute Frau sein, der Widerspruch ob seiner Herkunft als Herausforderung und zu überwindenden Feind sieht? Woher sie überhaupt den Mut und die Entschlossenheit nimmt, bleibt mir ein Rätsel. Dennoch liebe ich sie für all das, und weit mehr. Sie wird nie erfahren wofür ich sie schätze und liebe…
Dann mal auf in den Kampf, Herzog! 😀
*taschentuch zück und schneuz*