Ein halbes Jahr ist es her. Noch vor einem halben Jahr hatte ich noch nicht eine Wunde am Leib. Nicht eine Narbe. Nichts. Und jetzt? Die Schulter, die Hand, das Bein. Das verdammte Bein! Wie, in Mordors Namen, stellt sich der Mann vor, daß man so laufen soll?!
Wahrscheinlich hat der Mann nur nachgedacht, wie man mich möglichst effizient an diesem Abend aufhalten könne. Und dabei vergessen, daß ich so die nächsten Tage nicht laufen kann. Ich glaube nicht, daß ich es sonderlich bald auf die Beine schaffe. Habe Alrich losgeschickt mir einen ordentlichen Gehstock zu besorgen. Hoffe er beweist Geschmack.
Sie haben sich alle vorbildlich gekümmert. Wahrscheinlich zu meinem besten Interesse. Oder dem, was sie dafür hielten. Ich hörte Rywen sagen, man würde mich in meinen eigenen Wänden gefangen halten. Was nicht völlig zutrifft. Man glaubte schlicht mich schützen zu müssen. Vor mir. Eine seltsame Art einen Treueeid zu halten. Aber wahrscheinlich war es genau das. Dennoch. Am Ende war sie hier, und allein das zählte. Traurige Ironie, daß ausgerechnet die Baroness und Lynne dafür sorgen mußten. Eine seltsame Situation. Egal was ich tue, ich kann keine richtige Entscheidung treffen. Irgendjemand wird immer verletzt. Bleibt zu hoffen, daß sie verstehen, daß ich sie nicht zu verletzen wünsche. Es macht mir das Herz schwer zu wissen, daß sie es wahrscheinlich sogar tun. Sie hätten besseres verdient. Allesamt.
Armer, alter Mann. Ihr wart so sauer, daß ich es in jedem Moment spürte, wußte – und dennoch zu ignorieren hatte. Ich frage mich, habt ihr je so geliebt? Wahrscheinlich sogar. Aber ihr hättet euch nie so weit mitreißen lassen. Nun, jeder Mann hat seinen Fehler. Ich fürchte – fürchte es würklich – diesen einen werdet ihr mir nie nehmen können. Nicht zuletzt, weil ein Teil von mir diesen Fehler an sich selbst schätzt. Und vor allem schon zu viel dafür gab. Keine Strafe in eurem Kopf kann noch abschreckend genug sein. Und dennoch, es schmerzt mich mehr euch zu enttäuschen als es mich schmerzte meinen Vater ebenso zu enttäuschen. Seid ihr so alt? Bin ich so jung? Sind wir so weit entfernt?
Jedoch hatte mein Mitleid, den Löwenteil davon zumindest, weder Ardeyn noch Rywen. Einzig die Baroness. Sie stand aufrecht, die ganze Zeit. Auch wenn ich in ihren Augen bereits den Fall sehen konnte. Eine seltene Stärke dennoch handeln zu können, dennoch ihr Wort zu halten, wenn jede Faser ihres Körpers ihr hieß nachzugeben, aufzuhören. Warum auch für einen Mann opfern, der sie nicht liebt. Warum für eine Frau Haltung wahren, die für sie nur Verachtung kannte. Warum also, Ellena? Was treibt euch derart voran? Hätte ich die Wahl zwischen eurer Last an jenem Abend und dem Loch in meinem Bein, ich würde den Pfeil tausendfach bevorzugen.
Unser neuer Medicus hatte also gleich zu tun. Und obwohl sie gute Arbeit leistete, sogar mit ihrem Feuer – Feuer, verdammt! – muß ich sagen… An einer Stelle hatte sie mich. Ich war gerade aufgestanden, wollte raus, wollte zu Rywen. Und sie? Sie erinnert mich an den Haushalt. Die Pflicht dahinter. Elend. Sie hatte Recht…
Zumindest war Lysawyn nicht zugegen. Und es war gut so. Das Mädchen hat sich gut erholt, berichtete mir von dem Gespräch mit Rywen. Für Rywen ist das Geschehene noch frisch. Für Lysawyn und mich nicht mehr. Die Kleine hat sich ein Leben aufgebaut. Eines, in dem ich anscheinend zwar noch eine tragende Rolle spiele, aber eine in der ich nicht mehr so wie zuvor in ihrem Herz bin. Und das ist gut so. Dennoch. Es ist gut, daß sie nicht zugegen war.
Leider traf gleiches Glück nicht auf Lynne zu. ICh erinnere mich sie aus dem Augenwinkel gesehen zu haben als der Pfeil traf und ich zusammenbrach. Zum Glück konnte ich ihre Augen in diesem Moment nicht sehen. Und auch sie hatte später noch Stärke zu zeigen. Wo nehmen die Frauen das her?
Aldorn wurde die zweifelhafte Ehre zuteil mich ins Haus tragen zu dürfen. Wäre es kein Befehl gewesen, ich glaube er hätte mich gehen lassen. Der Mann hat mehr Pflichtbewußtsein als… als… Tee! Und wie ich lerne will das bei ihm viel heißen.
Was unseren namenlosen Freund Reowin angeht… Was von ihm zu halten ist, bleibt ein Rätsel. Einerseits scheint ihn bemerkenswert wenig zu treffen, andererseits zeigt er Loyalität, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Vielleicht lernt er irgendwann sogar zu vertrauen. Irgendwem. Wir werden sehen.
Bleibt noch Rywen… Ah, Rywen. Ich wünschte ich könnte Wissen nehmen und euch in ein Gefäß füllen um es euch zum Trunk zu reichen. Es geschehen hier Dinge, die ihr nicht verstehen könnt. Eben weil ihr ein Bauernweib seid. Ein Bauernweib, welches die Rollen nicht spielen kann die nötig wären. Und ich glaube nicht, daß ihr solltet. Ihr könnt nicht. Ihr dürft nicht. Eine Frau wie die Baroness braucht es. Aber eine Frau wie sie zu lieben wäre – ein Ideal zu lieben. Etwas fehlerfreies. Etwas Besseres. Etwas nicht reales. Aber ihr, ihr seid hier. Ihr seid echt. Dreckig und in vielen Belangen nicht das, wonach sich ein Mann wie ich sehnen sollte. Ich wünschte ich könnte euch begreifen machen, daß euch genau das so wertvoll macht. Ihr dürft so nicht werden. Ihr dürft nicht dieser Schein sein, den wir so gut beherrschen…
ooc: *verneigt sich schweigend*