Epilog – III – Grenzgänger

Lynne Salas
28. April 2009 • Kommentare: 0

Sie lauschte auf ihren Atem und den des Kindes, das warm und weich neben ihr in ihrem Arm schlief. Sie hatte so viele Kissen und Decken aufgetürmt wie sie finden konnte und doch konnte sie den steinernden Boden unter sich noch immer unnachgiebig und voller Härte fühlen in ihrem selbstgebauten Lager, welches sie der ehemaligen gemeinsamen Ruhestätte in der anderen Ecke des Raumes vorzog. Nur ihr Atmen und das ihres Sohnes, dessen friedliches Gesicht sie im silbernen Mondlicht, das durch die matte Scheibe des Fensters kroch, betrachtete. Dieses Gesicht, das sie in seiner Anmut ewiglich an den erinnern sollte, den sie so schier unerträglich und über jeden Schmerz hinaus vermisste.

Sie spürt die Kälte des toten Kamins in ihrem Rücken, die sich erdrückend um sie legte und zu zog. Und mit der Kälte kam schleichend die Gewissheit, nichts mehr tun zu können. Betäubende Gewissheit, die sich mit der Luft mischte und deren Gift sie nun unweigerlich in sich aufsog. Ihr Herz raste, ihre Glieder waren so müde, gezeichnet von der Schlaflosigkeit der letzten Tage und Nächte. Ihre Bewegungen, denen einmal Leichtigkeit inne gewohnt hatte, waren seit kurzer Zeit nicht mehr als mechanische Gesten, uneins mit Körper und Geist. Doch nun lag sie still und die natürliche Entspannung lähmte sie während ihre Gedanken einsame Schlachten bestritten, die sie nicht aufzuhalten vermochte, und schneidene Klingen gegen sie selber wetzten, wenn sie es versuchte.

Das Morgengrauen war noch so fern. Sie war nicht im Stande sich einen Morgen vorzustellen und doch wurde jede Silberscheibe der vergangenen Nächte von einer aufgehenden Sonne abgelöst. Sie hatte jeden Morgen die Augen weit aufgerissen und schier ungläubig in die ersten Lichtstrahlen eines neuen Tages geblickt mit nichts als dem innigsten, hilflosen Wunsch die Zeit umzukehren und den neuen Morgen wegzukämpfen.

Der Blick nach vorne war ihr unmöglich, die Sicht zur Gänze vernebelt. So kindlich und töricht der Gedanke war, doch auch sie hatte sich ein politisches Schriftstück gewünscht, ein Gelehrtenbuch, irgendwas, das ihr sagte, was zu tun war, welche Schritte sie nun gehen musste. Aber sie fand sich einzig eigenen Gedanken überlassen. Gedanken, die sich nicht finden konnten, ertrinkend in den Fluten von Sinnlosigkeit bevor sie nur den Hauch einer Chance hatten, den Sinn zu erreichen und von ihr entdeckt zu werden. Der Grat war schmal – und sie spürte weniger als einen Finger breit davon entfernt zu sein auf die falsche Seite zu fallen. Nur, dass jede Seite ihr falsch schien – im Angesicht der Vergangenheit, aller verwirkten Möglichkeiten und der unwirklichen Vorstellung einer möglichen… ja, was denn? Zukunft? Grenzgänger ohne Auswege.

So lag sie schier ohnmächtig da, verbot sich einmal mehr angstvoll den Schlaf, wusste, dass der nächste Morgen kommen würde, auch, wenn sie es nicht begreifen konnte, wie dies möglich war während ein Teil von ihr sich Einsicht erbetete. Sie lauschte in die Stille – bemüht den Herzschlag ihres Sohnen zu erhaschen, das Trommeln ihres Herzens, das sich nicht mehr wie das ihre anfühlte. Hatte sie es nicht ihm gschenkt? Und auf den Herzschlag wartend, der sich sich schon bald zu den ihren mischen würde.

Als hätte die Welt, während sie für einen Augenblick wegschaute, für immer zu schweigen begonnen.

Du musst eingeloggt sein, um zu kommentieren.