Lembas II

Gwaethil Eglainion
30. September 2010 • Kommentare: 3

Wie ein einziger Tag erscheint unser Aufenthalt unter den fallenden Wassern von Imladris. Ich vermag nicht zu sagen, ob Tage oder bereits Jahre vergangen sind. Zeit spielt keine Rolle.

Es gibt keine Zwischenfälle auf unserer Reise. Zwar finden sich verräterische Spuren unter den Buchen, hinterlassen von den Namensgebern der Trollhöhen, doch bis wir Cirith Imladris erreichen, hält uns nichts von unserem Fortkommen ab. Erst an den Steilhängen des südlichen Pfades, der zu den Wundern Bruchtals führt, werden wir aufgehalten. Kein Feind. Vielmehr stellt sich uns ein Tirn von Imladris in den Weg und erfragt unser Begehr – ich vermag nicht zu sagen, wie viele im umliegenden Bewuchs noch versteckt sind. Eingelassen zu werden erweist sich allerdings als keine Schwierigkeit, nachdem wir unsere Gesichter enthüllt haben und Annamel und auch Silalir schließlich von der Grenzwache erkannt werden.

Tirn o Imladris… Noch vor ein paar Jahren bin einer von jenen gewesen, die sich verhüllten Reitern in den Weg gestellt haben, wenn sie die Grenzen unseres Landes passierten.

So also betreten wir die letzte Trutzburg unseres Volkes. Für Stunden könnte ich auf den oberen Hängen stehen und alles beobachten. Vielleicht tue ich es auch. Die Sterne stehen über uns, und alles ist in silbernes Mondlicht gehüllt.

Elen feana or govas nîs.
Der Zauber Bruchtals erfasste mich in jenem Augenblick und lässt mich seither nicht mehr los.

Annamel reitet allein zu ihrem Heim, um von unserer Ankunft und ihrer unverhofften Rückkehr zu künden. Silalir bleibt an meiner Seite, und schweigend stehen wir still und lauschen dem Lied des Wassers.
Herrin Golwenn heißt mich schließlich in ihrem Haus willkommen und spricht lange mit mir. Ich offenbare ihr, was zwischen Annamel und mir erwächst, und ich teile meine Zweifel. Und sie – ebenso weitsehend wie Silalir – klärt meinen Geist mit wenigen Worten.
Die Fenster meiner Unterkunft sind groß und gestatten einen ungehinderten Blick auf das Tal. Der Klang des Wassers ist allgegenwärtig und beschert Ruhe während der Stunden der Erholung. Wenn ich mich nicht in all der gesammelten Weisheit von Herrn Elronds Bibliothek verliere, dann ist Annamel an meiner Seite und schenkt mir den Blick durch ihre Augen. Viele Stunden sind wir nun gewandert, und noch immer gibt es unzählige Wunder zu sehen. Oft begegnen wir dabei Aralinn, Annamels Bruder, den ich nun Freund nenne. Und dann lauschen wir seinen Liedern.

Immer wieder muss ich aufwachen und mich an die Endlichkeit dieser Reise erinnern. Dies ist nicht mein Heim und darf es nicht werden. Es wird vergehen wie alles. Es ist beschlossen.

Wie ein Glockenschlag, der die zeitlosen Nebel durchdringt, erscheint plötzlich die Gestalt einer alten Gefährtin. Es gibt bereits ein anderes Mitglied des Kleines Volkes hier, und trotzdem ist ihre Anwesenheit auffällig. Als ich mich ihr nähere, sehe ich, daß sie voller Ratlosigkeit ist. Schließlich erkennt sie in mir ein bekanntes Gesicht und kommt schutzsuchend zu mir. Sie hat sich verirrt, sagt sie, weiß nicht mehr, wie sie hierher kam und warum. Sie will nach Hause.

Nach Hause. (Dies ist nicht mein Heim und darf es nicht werden.)

Ich verspreche, ihr zu helfen und sie an unsere Seite zu nehmen, wenn wir zurückkehren. Und ich beschließe, dieses Rätsel zu lösen.
Vielleicht ist ihre Ankunft hier das Zeichen für mich – oder für uns, sollte sich Annamel dafür entscheiden – an eine Rückkehr zu denken. Allein der Gedanke daran, diesen Ort zu verlassen, erfüllt mich mit Wehmut. Wie werde ich Aralinns Lied vermissen. Wie sehr Golwenns kluge Worte. Wie sehr die Feuer und die Wärme in den Hallen und das Rauschen des Wassers. Wie sehr all jene, die diesen Ort mit Leben erfüllen und nur noch eine geflüsterte Erinnerung sein werden in kurzer Zeit. Und Annamel… Diesen Gedanken wage ich nicht zuende zu führen. Ihre Wahl ist um vieles schwerer als meine.
Doch was immer sie wählt, ich werde es weder hinterfragen, noch werde ich es anzweifeln. Es wird gut und richtig sein für sie. Und damit für mich.

Ich habe gewählt.

Die Weisheit der Sagen ruft. Ich versprach Fürst Winthallan, eine Geschichte mitzubringen. So vieles wartet dort noch. Ich werde nicht alles mitnehmen können. Doch jene eine, jenes versprochene Geschenk, schlummert noch und will gefunden werden.
Dieses eine, Pethron, muss noch getan werden. Dieses eine noch.

  1. Cinlir Winthallan sagt:

    Da gab es früher mal diese Kinderhörspiele mit beigelegter Zeitung – Erzähl mir was… Ja, darauf freue ich mich. 😀

  2. Sybell sagt:

    *einfach vor sich hin grins* Da gibt es noch einen zweiten Teil Gedicht…aber der passt noch nicht 😉

  3. Gwaethil Eglainion sagt:

    *gespannt rumhibbel*

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