Die Nacht war bereits heran gebrochen, als Fintol auf ihrem Bett saß.
In Aller Ruhe und gerade zu penibel reinigte sie ihr Glasauge, natürlich mit sauberen Händen und Wasser, wie es sich gehörte. Sie schämte sich nicht für das unechte Auge, wieso auch? Fin trug es mit Stolz, immerhin war es ein Geschenk. Ein Geschenk, dass ihr zeigte, dass es doch irgendwo in Bree jemanden gab, der an die Diebin glaubte. Sie wusste nicht wer der Gönner sein könnte, noch hatte sie eine Ahnung.
Als sie das schalenförmige Auge mit einem weichen Tuch abrieb hielt sie einen Moment inne. Waren Augen nicht der Spiegel zur Seele? Und wenn ja, was sah man dann in ihren?
Der Fürst hatte ihren Eid angenommen. Ihr Herz hatte einen Sprung gemacht, als er seine Hand auf ihren Kopf gelegt hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit keimte in ihr wieder das Gefühl irgendwohin zu gehören, vor allem willkommen zu sein. Trotz all‘ der Fehler die sie begangen hatte. Jetzt musste das Mädchen nur noch lernen mit den Wesen um sie herum zurecht zu kommen. Vorbei waren die Zeiten der ständigen Anfeindungen, des Kampfes um die nächste Mahlzeit.
Endlich hatte sie ein zu Hause. Vielleicht sogar so etwas wie eine Familie…
Nachdenklich legte Fin das Auge im Tuch eingeschlagen auf ihr Nachttischchen und glitt mit den Händen über ihre vernarbten Arme. Sie hatte nicht das Gefühl, dass sie etwas verloren hätte. Im Gegenteil. Das Mädchen von der Straße hatte gewonnen, viel mehr, als sie sich erträumen konnte. Ein leichtes Schmunzeln zauberte sich auf das Gesicht. Wer auch immer sie damals brechen wollte, hatte versagt, kläglich. Zwar verspürte sie den Drang ihrer Folterin ins Gesicht zu lachen aber dazu würde Fin sicher irgendwann die Chance kriegen, dessen war sie sich bewusst.
Ihr Blick wanderte zum Bett von Akirah, welcher schon lange schnarchend in seiner Wolke lag. Dieser alte Brummbär.. er, der Fürst und Herr Gweathil hatten alle drei eine unangenehme Eigenschaft, für welche die Diebin jeden von ihnen früher verflucht hätte: Sie alle drei berührten auf ihre Art den Kern, den Fin mit viel Arbeit und Mühe über Jahre hinweg unter der Schicht Straßengör zu verbergen hoffte.
Aber vielleicht war gerade das, was sie vor dem Fürsten nervös werden ließ. Vielleicht war es auch das, was Herr Gweathil damals meinte, als er sagte „Eisen, das zu lange Luft gewesen ist.“ Fintol konnte.. durfte früher nicht sie selbst sein. Gefühle? Eine Schwäche. Zuneigung? Leicht auszunutzen. Vertrauen? Dann hätte sie damals sich selbst direkt einen Dolch ins Herz jagen können.
Hier war es anders. Hier durfte Fin sie selbst sein. Hier durfte sie zeigen, wen sie mag und wen nicht, hier durfte sie lachen, weinen, lieben, vertrauen….
Fin fühlte sich erschöpft, nicht vom Tagewerk im Stall, sondern ihr Herz fühlte sich müde an, träge. Ermüdet von den Jahren der Wut, des gespielten Zornes sowie der Abneigung gegen andere. Sie konnte spüren, wie der ewige Ärger in ihr langsam wich und einer kleinen Hoffnung platz machte. Doch wieso zitterte sie dann so? Brummend krallte sich Fintol in ihre Decke und warf das Gesicht ins Kissen ihrer Wolke.
Nur wer an diesem Abend gut hingehört hätte, hätte das leise erstickte Schluchzen des Mädchens gehört, als sie endlich den Tränen nachgab, die all die Jahre nicht herausgelassen werden durften…