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Sethur
10. Januar 2016 • Kommentare: 4

Sethur, ausgestreckt auf dem erstaunlich sauberen Bett einer drittklassigen Herberge im weitläufigen Nichts des Norden Gondors, fluchte leise. Der Becher, welchen er auf seiner Brust zu balancieren versucht hatte, ergoß einen Teil seines Inhalts über das feine, wenn auch etwas knittrige Hemd des Kämmerers, während dieser versuchte, etwas Rotwein – ein Mitbringsel, ein kleines Memento eines Besuchs bei einem Mann, den kennenzulernen ihn einst drei Becher Wasser und viel Nerven gekostet hatte – nachzuschenken. Mit einem gedehnten Seuzfen stellte er den Becher neben dem Bett ab und betrachtete den zuvor hellgrauen, nun ruinierten Stoff seines Hemdes. Mit einem Seufzen erhob er sich, öffnete die Knöpfe und warf das Hemd in eine Ecke des Schmalen Raumes, ehe er sich wieder auf dem Bett niederlaß und einen weiteren, gedehnten Seufzer von sich gab. Auch ohne den selbst nach drei vergangenen Jahren noch recht jungen Mann besser zu kennen, war das durch und durch gelangweilte, schlecht gelaunte Bild, welches er abgab, recht eindeutig.

Ein Blick aus dem Fenster in das milchige Dämmerlicht des winterlichen Nachmittags bestätigte, dass es noch immer nicht Abend war: Der Tag war noch immer nicht vorüber, was bedeutete, dass die Woche nicht vorüber war. Was wiederum bedeutete, dass der Monat noch nicht vorüber war. Ein Monat der, wie man ihm versichert hatte, der erste von dreien wäre die gebraucht würden, um die von heftigen Regen- und Schneefällen zerstörte Brücke über einen nahen Fluss, dessen Name ihm entfallen war, zu reparieren. Eine Brücke die notwendig war, wie er auch nach wiederholtem Starren auf verschiedene Karten und längeren Gesprächen mit Kutschern, Fährleuten und vorbeiziehenden Soldaten nicht bestreiten konnte, um ihm den Weg zurück ins Breeland zu eröffnen.

Der Befehl Cinlirs, einen anderen Weg nach Gondor zu finden und für die Reise des Haushaltes vorzubereiten, hatte ihn gefreut, mit großer Erleichterung erfüllt – nicht, weil er die Idee für vollkommen sinnvoll hielt. Auch Cinlir schien ihm eher hoffend denn wirklich überzeugt. Doch zwei Monate in Bruchtal hatten Sethur mehr als gereicht, auch wenn er dort wenigstens einen Fürsten um sich hatte, der ebenso schlecht gelaunt war, wie er selbst, der das ewige Warten ebenso wenig ertrug wie sein junger Kämmerer. Der nun, drei Jahre später, mit fast siebenundzwanzig Wintern, nicht mehr ganz so jung war, wenn auch gleichbleibend schlecht gelaunt. Die Reise, ein bereits sehr früh zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, hatte bereits mehrere Monate in Anspruch genommen, während sich nahezu jede passierte Hürde, jeder halb verschneite Pass und jede Stadtmauer, direkt hinter ihm schloss. Er war sich, auch heute, nicht ganz sicher, ob diese Zufälle wirklich glücklicher Natur gewesen waren. Doch sicher war es besser, in Gondor festzusitzen, als in Bruchtal unter unerträglich perfekten Elben, deren melancholische Müßigkeit Sethur noch weniger ertragen mochte, als die fürchterliche Energie der herzöglichen und ritterlichen Kinder. Zwar war dort Bryanne, deren Freundschaft ihn, wie er vermutete, auch über längere Wartezeit vor dem Wahnsinn hätte bewahren können, aber dennoch – Bruchtal war Bruchtal, und somit inakzeptabel.

Er hatte es nicht einmal bis nach Minas Tirith geschafft, um für den Befehl zur Rückkehr des Fürsten Winthallan und seines Haushaltes nach Gondor zu ersuchen – eine fixe Idee, die sich beim Warten immer mehr in ihm entfaltet hatte. Nach dem dutzendsten Besuch in verschiedenen Frontgarnisonen, nach dem gefühlt vierzigsten Scherz von Soldaten, er könnte wohl gern in Richtung der Hauptstadt aufbrechen, besäße er Flügel, hatte er aufgegeben und versucht, nach Bree zurückzukehren. Bis jetzt hatte auch dies wenig Erfolg.
Ein Klopfen, dem Klang nach nicht der erste Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, riss Sethur aus trüben Gedanken.  „Herein.“ Der fröhliche, fast etwas selbstzufriedene Gesichtsausdruck der sonst so angenehm mürrischen Haushälterin ließ ihn die Augenbrauen zusammenziehen.

„Wenn ich Euch sage, dass es seit vorgestern so kalt ist, wie in drei Monaten nicht, Herr, was sagt Ihr dann?“ grinste sie.

„Ich würde euch vermutlich mitteilen, dass ich mehr Feuerholz brauche. Und, dass ich selbst weiß, wie kalt es ist.“

„Im Ort sagen sie, dass das Eis trägt. Über den Fluss. Wenn es heute Nacht kalt bleibt, isses sicher. Mein Schwager ist schon rüber, hat mit den Leuten aus dem Norden geredet. Der Weg ist frei.“

Einen Moment lang starrte Sethur die Frau an, begann dann zu lächeln, ehe er sich eilig von seinem Bett erhob, die Überbringerin der vielleicht besten Nachricht – der einzig guten Nachricht – der letzten zwei einhalb Jahre mit einem für die Verhältnisse des Kämmerers ungewöhnlich überschwinglichen Dank verabschiedend, und begann, sein Gepäck zu sortieren. Bree war besser als alles hier. Bree bedeutete ein Ende der Langeweile, des Festsitzens, des Nichtstuns. Nach den letzten Jahren vermisste er sie alle, fast ohne Ausnahme. Bryanne, Cinlir, Drakon – sogar Giselher, wenngleich er sich nicht ganz sicher war, warum. Morgen, dachte er erheitert, würde er nach hause aufbrechen – und gab ein irritiertes, missbilligendes Geräusch von sich: Bree und zu hause, was für ein alberner Unsinn.

  1. Sethur sagt:

    Wenn hier irgendwas geographisch so garkeinen Sinn ergibt, sagt bescheid. 😉

  2. Giselher sagt:

    Du hast es ja selber geschrieben: Bree und zuhause *lach* zu gut!

  3. Fianah sagt:

    Soso…Fia bedarf also keiner Erwähnung. Das werde ich mir merken! 😀

  4. Sethur sagt:

    Whoops! 😀 Stimmt aber. Da fehlen einige.

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