Erde und Luft

Gwaethil Eglainion
8. April 2010 • Kommentare: 6

Jetzt ist er der firith.
Seit fast zwei Jahren wohnt er nun schon im Haus des alten Waldläufers, den er Mithfang nennt. Das Haar des alten Mannes ist zwar weiß vom Alter, aber er gönnt sich keine Ruhe, ist ständig unterwegs und bleibt oft wochenlang weg. Wenn Mithfang auf Reisen ist, spricht der firith kein einziges Wort. Aber er liest viel. Der Alte bringt ihm das Westron in Wort und Schrift bei, und wenn er allein im Haus ist, dann erforscht er die alten Texte, die Mithfang ihm zur Verfügung gestellt hat. Eine beeindruckende Sammlung hat er da. Zu beeindruckend für einen Jäger und Fallensteller. Aber über seine Herkunft oder seine Beweggründe spricht der Alte nie, und der firith ist froh, überhaupt einen Ort gefunden zu haben, an dem er bleiben kann.

Zurückhaltung ist eine Tugend. Wenn er über sich sprechen will, dann wird er es tun.

Die restliche Zeit verbringt er damit, das Haus instand zu halten und von Zeit zu Zeit Besorgungen in der Stadt zu machen.

Ein Elb als Haushälter eines Menschen. Wie jämmerlich. Die Stimme seines Vaters ist deutlich hörbar. Und dafür hast Du Deinen Platz unter unserem Volk in Valinor aufgegeben? Dafür?

Bree.
Um Bree kommt niemand herum, der sich in dieser Gegend aufhält. Mit interessierten Augen hat er beim ersten Besuch die Stadt betreten.
Dann kam der erste Taschendieb. Und er hat die ersten Bettler gesehen, denen ihre mangelhafte Ernährung ins Gesicht geschrieben stand. Und dann öffnete sich vor ihm eine Tür, und ein Mann wurde auf die Straße geworfen. Sein Gesicht war zerschlagen, und Blut klebte an seinen Mundwinkeln. Und all die Leute, all die Landsleute des Mannes gingen an ihm vorbei, als wäre er unsichtbar. Schließlich hat er all die Blicke bemerkt, die die Stadtbewohner ihm zugeworfen haben, als er an ihnen vorbei gegangen ist.
Seitdem ist er nie ohne Kapuze in die Stadt gegangen. Wenn er denn überhaupt dorthin musste.

Dafür?

Wenn Mithfang da ist, dann prüft er die Fortschritte seines Schülers. Und dann üben sie sich im Kampf. Diese Zeiten mag der firith. Er spürt deutlich den Boden unter den Füßen.
Mithfang ist ein guter Lehrer.

Dein Platz auf der Erde. Und Leben in der Luft. Ganz deutlich.

Zeit vergeht.
Etwas muss geschehen sein, denn eine Verbitterung wächst im Herzen des Alten. Mithfang spricht nicht. Der firith fragt nicht.
Und irgendwann kehrt der Alte von einer Reise nicht mehr zurück.
Als das Gras braun wird, sind Erde und Luft kalt, und der firith befürchtet, daß diese Zeit zuende ist.
In Esteldín, der Feste der Dúnedain, trifft er Mithfang schließlich wieder. Der Alte lebt noch. Aber er hat die Augen eines Toten. Da fragt der firith nun doch endlich. Aber die Worte des Alten sind kühl und wie die eines Fremden.

Als würde jemand anders in seinem Körper wohnen. Oder niemand.

Er kehrt nicht mehr ins Haus des Waldläufers zurück.
Gelegentlich reist er nun zusammen mit einem Mädchen vom Volk der Periannath, die in der Nähe von Mithfangs Haus gewohnt hat. Diese seltenen Momente der Zweisamkeit sind angenehm. Ihre Leichtigkeit lässt den Winter erträglicher werden.

Bist Du überrascht, daß es so kalt ist? Dafür bist Du geblieben.

Immer wieder führt der Weg nach Bree. Ungern. Nur wenn es unbedingt nötig ist.
Er geht schweigend und mit gesenktem Kopf durch die Straßen. Nein, er hat kein Geld für die Bettler. Und er hat auch keins für das verbrauchte Mädchen in den viel zu dünnen Kleidern, die ihren so früh verwelkten Körper an jeden verkauft, der bezahlen kann. Und erst recht hat er keins für die beiden Burschen, die ihn mit stumpfen Messern in eine dunkle Ecke drängen wollen. Für sie hat er ein paar schnelle Schläge. Wie überrascht sie aussehen, als seine Kapuze zurückrutscht und sie sein Gesicht sehen.
Seitdem trägt er immer die Rüstung. Die kann er inzwischen auch ganz gut selbst anlegen. Gute Morgenübung.

Dafür?

An einem dieser Notwendigkeitstage beobachtet er, wie ein Junge umzingelt wird von fünf anderen. Sie müssen ihn abgepasst haben vorm Tor und nehmen ihn nun in die Mangel. Ihre Waffen sind von besserer Qualität als die der gewöhnlichen Gauner in den Gassen, und ihr Blick ist entschlossen. Hier scheint es nicht um Geld zu gehen, zumal der Junge nicht aussieht, als hätte er welches.
Sie wollen ihn töten.
Der Bursche trägt selbst zwei Klingen und führt sie geübt, aber die anderen sind zuviele.

Fünf Klingen gegen zwei. Fünf gegen drei klingt besser. Dafür!

Er beschließt, sich auf seine Seite zu stellen.
Der Kampf ist kurz. Die Angreifer fliehen. Aber sie haben dem Jungen hart zugesetzt. Er muss verarztet werden. Der Bursche will an einen Ort gebracht werden, an dem man ihm helfen kann. So lernt der firith Fianah kennen. Sie nimmt den Jungen in Empfang und scheint sich wirklich zu sorgen. In jenem Raum, in den sie ihn bringen lässt, liegt bereits ein anderer. Scheinbar ist sie so etwas wie eine nestadreniel für die beiden Jungen, denn als sie sich die Wunden ansieht, wirkt sie einigermaßen geübt. Müde Kinder in einem Spiel für Erwachsene.

Sorge. Heilung. Beschützen.

Wie warm es in diesem Augenblick ist in diesem Haus.
Sui ni anírale.

Dafür!

  1. Cinlir Winthallan sagt:

    Genau dafür nämlich! So!

  2. Gwaethil Eglainion sagt:

    *kichert hinter vorgehaltener Hand rum, strafft sich dann und setzt wieder den elbischen Wiechei-Blick auf*

  3. Sybell sagt:

    Hach ich mag Gwaethil. Da würd ich doch direkt mal gern meine Elbe auspacken und ihn treffen lassen. Nur blöd, dass die in Bruchtal ist und bleibt 😉

  4. Gwaethil Eglainion sagt:

    Na dann braucht der Eisenelb wohl einen Grund, mal nach Bruchtal zu reisen…

  5. Fianah sagt:

    Hachja…die Viersamkeit fehlt mir *schnüff* Dabei hatten wir so große Pläne!

    Und natürlich wieder wunderschön geschrieben tirn 🙂

  6. Giselher Aldorn sagt:

    Krass, richtig elbisch… und aus irgendeinem Grund denke ich gerade an Amfortas, den Gralskönig und Parzival, der immer verpasst zu fragen 😀

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