Abschied, Teil 1

Heridan Flusswieser
7. Januar 2011 • Kommentare: 0

Eine Rote Laterne hing rechts neben der Eingangstür zum Haus des Medicus. Zuletzt war das der Fall, als der Leichnam Zarroc Angors dort aufgebahrt lag. Die Laterne strahlte ihr Licht durch die Nacht. Denen, die das Zeichen kannten, gebot es Achtung. Achtung vor den Toten im Allgemeinen und von der erst unlängst verstorbenen Person im Besonderen. Natürlich war Heridan in Schwarz gekleidet. Das war das zweite Zeichen dafür, dass eine Leiche aufgebahrt wurde. Mit seinem Schwert am Gürtel hielt er nun schon mehrere Stunden die Totenwache.

Der Leichnam, den er bewachte, war der einer Frau, nur ein paar wenige Jahre jünger als er selbst. Der Tod hatte ihr sanfte Gesichtszüge verliehen, die sie Zeit ihres Lebens selten zeigte. Die Augen waren geschlossen. Sie trug ein weißes Totenhemd, welches Heridan ihr nachdem er sie waschen und hergerichtet hatte, anzog. Einem Aufmerksamen Beobachter würde der Hals der Frau Aufschluss über die Art des Todes geben – doch nunmehr war kaum noch zu erkennen, dass der Hals von einer Klinge durchbohrt war. Mit viel Sorgfalt wurde die Wunde mit einem dünnen Faden zugenäht, so dass sie kaum auffiel.

Heridan hing seinen Gedanken nach. Die Oberwachtmeisterin hatte es seltsam gefunden, dass er sie nicht attackierte – anscheinend hatte sie gute Gründe, so etwas zu vermuten. Es mochte sein, dass sie ihn für Gefühllos hielten. Das traf auch zu – er war weitestgehend frei von Gefühlen – jedoch in keinem Fall frei von Gedanken. Diese Gedanken trugen ihn in die Vergangenheit, zu gemeinsamen Erlebnissen. Stundenlang standen sie zu zweit. Ja, zu zweit. Derya war der Meinung, ihm beistehen zu müssen. Bisher hatte er es dabei belassen. Aber nun schickte er sie mit einer knappen Geste fort. Heridan drehte sich um, atmete tief ein, wieder aus und blickte auf das ihm wohlbekannte Gesicht. Mit leiser Stimme und doch klar, begann er zu sprechen:

Lebwohl, meine Schwester.
Ich kann nicht sagen, dass ich mir wünsche, wir hätten mehr Zeit miteinander gehabt. Ich wünsche mir, ich hätte früher gewusst, dass es dich gibt. Ich hätte mir gewünscht, dass du in so ruhigen Verhältnissen aufwachsen konntest wie ich. Ich hätte mir gewünscht, dass dein Leben ein besseres gewesen wäre… ein angenehmeres.
Man würde erwarten, dass ich nicht einverstanden war, mit dem Leben das du geführt hast. Das trifft zu. Man würde damit unterstellen, ich hätte dich dafür gering geschätzt. Das wäre ein Fehler. Ich habe erkannt, dass du oft keine Wahl hattest. Ich habe erkannt, dass du meist nur die Wahl zwischen diesem Leben oder gar keinem hattest. Und als du dann die Wahl hattest, warst du schon so geprägt, dass es kaum möglich wäre, dich zu ändern. Ich habe es versucht, sicherlich. Andere haben es auch versucht. Wir alle konnten keinen Erfolg haben, vielleicht wollten wir es nicht einmal. Ich nehme dir nicht übel, dass es dieses Ende nahm, selbst wenn ich es bedauere. Denn es war dein Weg, den du gegangen bist. Auf dem du dir selbst treu geblieben bist. Ich gebe es zu… ich bewundere dich dafür, dass du es geschafft hast, unter so widrigen Umständen ein Leben zu leben, was eine gewisse Konstanz hatte. Selbst wenn es so rasch endete. Das hätte nichts ändern können, selbst wenn ich meines Gewissens wegen gegen dich hätte vorgehen müssen. Dein Dolch… ich werde ihn aufbewahren. Ich weiß noch nicht wo und nicht wie. Aber ich werde ihn behalten, als Erinnerung an die Schwester, die ich für so kurze Zeit hatte. Und ich werde ihn in Ehren halten.

Lebwohl, Rena.

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