Der junge Wachmann seufzte. Aus irgendeinem Grund bekam er ständig Aufgaben zugewiesen, die Schwierigkeiten bedeuteten. Er nahm an, dass er den Seneschall irgendwie verärgert hatte, dabei war er nur ein einziges Mal an den Teekessel gegangen, um ihn auszuwaschen.
Noch immer missmutig legte der Gardist den kurzen Weg vom Schreibtisch des Seneschalls zu dessen Haus zurück und klopfte an die Tür. Sobald sie geöffnet wurde nahm er Haltung an und blickte an Lady Aldorn vorbei ins Leere. Dass der junge Herr Gernoth-Lucan schon wieder versuchte, einen Ausfall auf sein linkes Bein unternehmen, übersah er mit aller Professionalität, die ein Wachmann eben aufbringen konnte.
„Lady“, hob er an. „Ser Aldorn schickt mich, Euch zu übermitteln, dass erm… die Pastete? vermutlich sein Leben gerettet habe. Äh. Ich habe wirklich keine Ahnung, was er damit meint, Lady Aldorn, und ich..“ Für einen Moment stockte dem Mann der Atem. Dem jungen Herrn war es letztlich doch gelungen, einen Ausfall zu machen, das Holzschwert des Knaben sorgte für einen erstaunlich stechenden Schmerz in Kniehöhe, bevor seine Mutter mit gewandtem Griff schlimmeres verhinderte. Das ganze gelang ihr binnen eines halben Herzschlages oder so und sie hielt das Holzschwert nun beiläufig in ihrer rechten Hand, als sie aufmunternd lächelnd zu dem jungen Gardisten sah. Der Mann blinzelte. Wann genau hatte Lady Aldorn eigentlich das Holzschwert von der linken in die rechte Hand gewechselt und _wie_ hatte sie das tun können, ohne, dass der Gardist es gesehen hatte, obwohl er doch die ganze Zeit hingesehen hatte? Er schüttelte verwirrt den kopf. räusperte sich und fuhrt fort.
„Ähm. Und ich habe den Auftrag, Euch folgendes Schreiben auszuhändigen.“ Der Gardist salutierte hastig und trat dann die Flucht an. Er wollte gar nicht wissen,w arum Ser Aldorn irgendwelche Nachrichten in Form einer offiziellen Order an seiner Frau überbringen ließ und noch viel weniger wollte er, dass Lady Aldorn _ihn_ deshalb befragte.
Sieht man sich das Schreiben an, sieht es tatsächlich sehr formell aus. Der Briefbogen wurde einmal gefaltet und mit dem Siegel des Fürsten versehen. Darunter steht unmissverständlich der Adressat ‚Lady Bryanne Aldorn geb. Meroun’. Dem entfalteten Bogen ist schließlich der Absender samt Anschreiben zu entnehmen. Der Schreiber hatte sich offenbar um eine leserliche Handschrift bemüht, es gibt nicht eine! Streichung oder Korrektur im gesamten Schreiben.
Seneschall des Fürsten zu Minas Faer, des Herzogs zu Ost-Agar
Ser Giselher Aldorn
Lady Bryanne Aldorn, Ihr seid hiermit aufgefordert, wieder regelmäßige Übungen zum Erhalt und zur Verbesserung Eurer Waffenfertigkeiten aufzunehmen.
Hauptmann Akirah Taramer wurde angewiesen, Euch entsprechenden Übungen zu unterziehen. Meldet Euch sobald als möglich bei ihm. Während der Übungen seid ihr in allen Belangen seiner Kommandogewalt unterworfen.
Zu einem geeigneten Zeitpunkt wird darüber entschieden, in welcher Weise Eure Klinge im Dienste unseres Eid- und Lehnsherrn eingesetzt wird.
– Ser Giselher Aldorn
Dem offiziellen Schreiben liegt ein kleinerer Zettel bei, bei dem auf längere Titel und dergleichen offenkundig verzichtet wurde.
Liebe Bry,
ich werde Dir später alles erklären, soviel aber vorweg: ich habe Drakon Meroun geschrieben und erhoffe mir baldige Antwort. Bis dahin wäre Cinlir (und ich auch) schön blöd, auf fähige Hände zu verzichten.
Gernoth-Lucan ist versorgt, mein Vater sagte, dass es ohnehin Zeit wird, dass der Junge was „vernünftiges“ lernt, meine Arbeit zählt seiner Meinung auf keinen Fall dazu. Ich habe allerdings den Verdacht, dass mein Vater auf seine alten Tage weich wird. Als wir ihn besuchten, roch es verdächtig nach Bratapfel und Gernoth konnte es kaum erwarten in die Küche seines Großvaters zu stürmen. Noch schwieriger war es, ihn am Abend wieder zu überzeugen, den Heimweg anzutreten. Unser Sohn wirbelte über den gesamten Hof. Er hat sich von hinten an Robbi Dornlag angeschlichen, der zusammenschreckte, als wäre eine Horde Orks hinter ihm her. Nunja, oft genug ist das ja auch der Fall. ich habe aber nicht gelacht und versucht, Gernoth zu tadeln. Diesen alles bestechenden Blick hat er von Dir! Um es kurz zu machen – mein Vater beherbergt Gernoth-Lucan zwischendurch gerne, selbst wenn er das Gegenteil behaupten sollte.
In Liebe
Giselher